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01.04.2016

Europäischer Brückenbauer

Hans-Dietrich Genscher (1927-2016)

Artikelbild Hans-Dietrich Genscher im Herbst 2015 bei der Feierstunde als Ehrenbürger seiner Heimatgemeinde Wachtberg. Foto epd 
Auch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) trauert um den verstorbenen Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher. Die Präses der Synode der EKD, Irmgard Schwaetzer, würdigte Genscher als „europäischen Brückenbauer“, dessen Handeln stets auch durch seinen christlichen Glauben geprägt war.

„Für ihn war der Dialog zwischen Kirchen und Politik ein wichtiger Teil der gesellschaftlichen Wertediskussion. Persönlich fühlte er sich von seinem Glauben im Leben getragen“, sagte Irmgard Schwaetzer. Zugleich würdigte sie das vielfältige kirchliche Engagement von Hans-Dietrich Genscher.

„Seine Mitwirkung in der Kammer für öffentliche Verantwortung der Evangelischen Kirche in Deutschland zeigt sein Engagement für die Gestaltung einer Welt, in der die Würde des Menschen im Mittelpunkt politischer Entscheidungen steht“, so die Synodenpräses. Zudem engagierte sich Hans-Dietrich Genscher auch bei der Gründung des Lutherzentrums in Wittenberg im Jahr 1999 und stand den leitenden Geistlichen stets als verlässlicher Gesprächspartner zur Verfügung.

„Die Vollendung der Deutschen Einheit in Freiheit, an der er in seinem politischen Leben so intensiv gearbeitet hat, war für den gebürtigen Hallenser eine tiefe Freude. Der Vorrang des Politischen vor dem Militärischen kennzeichnet die von ihm mitgestalteten Meilensteine der europäischen Integration, die ihm auch bis in die letzten Tage seines Lebens von größter Wichtigkeit waren“, sagte Schwaetzer.

Um den verstorbenen Bundesaußenminister trauert auch seine Evangelische Kirchengemeinde Wachtberg im Kirchenkreis Bad Godesberg-Voreifel. Die Gemeinde verliere mit Hans-Dietrich Genscher ein Gemeindemitglied, auf das die Gemeinde "auch ein bisschen stolz war", sagt Pfarrer Günter Schmitz-Valadier. Genscher sei über den Gottesdienst hinaus immer auch offen für Anfragen als Prominenter gewesen, zum Beispiel für Statements im Gemeindebrief.

Geschichte geschrieben

Hans-Dietrich Genscher starb in der Nacht zum Freitag im Alter von 89 Jahren an einem Herz-Kreislauf-Versagen, wie sein persönliches Büro mitteilte. Seine Familie sei bei ihm gewesen, als er in seinem Haus in Wachtberg-Pech bei Bonn im Rhein-Sieg-Kreis starb.

Bundespräsident Joachim Gauck, weitere Spitzenpolitiker und Wegbegleiter würdigten Genscher als großen Deutschen und Europäer, der Geschichte geschrieben habe. Den meisten Deutschen ist in Erinnerung, wie Genscher am 30. September 1989 den DDR-Flüchtlingen in der Prager Botschaft die Nachricht überbrachte, dass sie in die Bundesrepublik ausreisen dürfen.

In Genschers 18-jährige Amtszeit als Außenminister fielen der Fall der Mauer, die Zwei-plus-Vier-Gespräche, der deutsch-polnische Grenzvertrag sowie der deutsch-sowjetische Kooperationsvertrag. Genscher setzte sich während des Kalten Krieges für die Annäherung zwischen Ost und West und die Entspannungspolitik ein.

"Feines Gespür für historische Momente"

Bundespräsident Gauck schrieb in einem Kondolenzbrief an Genschers Witwe Barbara: "In diesen Stunden denke ich besonders an seinen großen Beitrag zur Vereinigung Deutschlands in Freiheit und Frieden." Beharrlich, allgegenwärtig und "mit feinem Gespür für historische Momente" habe Genscher das friedliche Zusammenwachsen Deutschlands und Europas vorangetrieben.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) würdigte Genscher als weltweit geachteten Staatsmann, der für Deutschland Vertrauen erworben habe. Sie verneige sich "vor der Lebensleistung dieses großen liberalen Patrioten und Europäers", erklärte die Kanzlerin.

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker erklärte in Brüssel, Genscher werde Europa fehlen: "Er hatte sein ganzes unermüdliches politisches Wirken der Versöhnung, der Einigung und dem Wohlergehen dieses Kontinents verschrieben."

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), der von Genschers Tod am Rande eines Besuchs in Tadschikistan erfuhr, sagte in Duschanbe, die Nachricht erfülle ihn mit großer Trauer. "Genscher hat in seinem langen und bewegten Leben buchstäblich Geschichte geschrieben, Geschichte unseres Landes, Deutschlands, und Geschichte Europas", sagte Steinmeier. Als Außenminister sei es ihm vergönnt gewesen, sein Lebensziel, die deutsche Wiedervereinigung, selbst zu verwirklichen.

"Seine Verdienste bleiben"

NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) nannte Genscher eine wichtige Stimme in der deutschen Politik. "Den Weg zur deutschen Einheit und die Verwirklichung der europäischen Idee hat er mit seinen Worten und seiner Diplomatie aktiv mitgestaltet und mitgeprägt."

FDP-Parteichef Christian Lindner sagte, Genscher habe Geschichte geschrieben: "Seine Verdienste bleiben."

Die NRW-CDU erklärte, sie trauere um einen großen Staatsmann und Bürger Nordrhein-Westfalens. "Im Osten geboren, im Westen tief verankert, gestaltete er zusammen mit Bundeskanzler Helmut Kohl den Weg zur Deutschen Einheit und verlieh mit ihm dem europäischen Einigungsprozess Dynamik", erklärte der nordrhein-westfälische CDU-Chef Armin Laschet.

Kürzlich erst 89 geworden

Der FDP-Politiker hatte erst vor wenigen Tagen sein 89. Lebensjahr vollendet. Er wurde am 21. März 1927 in Reideburg geboren, das heute zu Halle an der Saale gehört, und hatte nach dem Krieg zunächst Rechtswissenschaften und Volkswirtschaft studiert. 1952 verließ er die DDR und war Rechtsanwalt in Bremen, ehe er 1956 wissenschaftlicher Assistent der FDP-Bundestagsfraktion in Bonn wurde.

In den folgenden Jahren wurde er Geschäftsführer der Fraktion, Bundesgeschäftsführer der FDP, stellvertretender Vorsitzender und schließlich Parteichef. Genscher war 1965 in den Bundestag gewählt worden und gehörte ihm bis 1998 an. In der sozialliberalen Koalition wurde er 1969 Bundesinnenminister und war von 1974 an Außenminister, was er bis 1992 blieb.