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17.05.2016

Die andere Seite Russlands

Partnerarbeit in Pskow

Artikelbild Feier am Heilpädagogischen Zentrum in Pskow: Oberkirchenrat Eberl mit Gouverneur Turtschak, Stadtpräsident Zezerski, HPZ-Direktor Zarjow sowie Vertretern des Bildungsministeriums. 
Am 9. Mai 2016 feierte Russland den 71. Jahrestag des Sieges im „Großen Vaterländischen Krieg“ - so wird in Russland der Zweite Weltkrieg genannt – mit einer großen Waffenparade auf dem Roten Platz in Moskau. 

Alle Medien berichteten darüber und werteten dies als erneuten Hinweis, dass Russland militärische Stärke zeigen will und die Beziehungen zu den NATO-Staaten nach der Krim-Annexion und dem Ukraine-Konflikt zunehmend gespannt sind.

Ein ganz anderes Bild nur zwei Tage später. In Pskow, der 200.000-Einwohner Stadt im Westen Russlands, wird die Erweiterung des Heilpädagogischen Zentrums gefeiert und die 25-jährige Partnerschaft zwischen der Stadt und der Evangelischen Kirche im Rheinland unter großer öffentlicher Beteiligung gerühmt.

Vor 25 Jahren, im Juni 1991, reiste eine rheinische Delegation unter Leitung von Präses Peter Beier nach Pskow, das im 2. Weltkrieg besonders stark unter der deutschen Wehrmacht zu leiden hatte. Aus der Versöhnungsbitte heraus gründete die Evangelische Kirchengemeinde Wassenberg mit ihrem damaligen Pfarrer Klaus Eberl ein Heilpädagogisches Zentrum, das durch die pädagogische Begleitung von Bernd Schleberger und der Rurtal-Schule Oberbruch zum Wendepunkt der Behindertenarbeit in Russland wurde. Durch diesen Impuls entstanden viele weitere diakonische Partnerschaftsprojekte, die sich in der Initiative Pskow vernetzen.

Großer Erweiterungsbau

Oberkirchenrat Klaus Eberl eröffnete nun am 11. Mai gemeinsam mit dem Gouverneur des Oblast Andrej Turtschak, dem Stadtpräsidenten Iwan Zezerski und einer Delegation des Moskauer Bildungsministeriums einen großen Erweiterungsbau des Heilpädagogischen Zentrums, in dem neben einer Aula und Therapieräumen weitere Klassen und ein Kindergarten untergebracht sind.

Der Festakt bot Anlass für einen großen internationalen Fachkongress, auf dem Eberl über inklusive Stadtentwicklung referierte, ein Theaterfestival mit behinderten und nichtbehinderten Akteuren sowie Konzerte der Band „Rur-Rock“, die schon seit vielen Jahren als integratives Musikprojekt der Rurtal-Schule Oberbruch und der benachbarten Hauptschule die Arbeit in Pskow unterstützt. Das „Rur-Rock“-Ensemble begeisterte neben der in ganz Russland bekannten Gothic-Rock-Band „Agata Kristi“ mehr als tausend Zuhörerinnen und Zuhörer in der Pskower Philharmonie.

Der Inklusionsgedanke ist angekommen

Es ist offensichtlich, dass der Inklusionsgedanke in der russischen Gesellschaft angekommen ist, auch wenn das Netz geeigneter Einrichtungen schwach und die finanzielle Ausstattung des Sozialsystems völlig unzureichend sind. Aber das Heilpädagogische Zentrum ist landesweit bekannt wegen seiner innovativen Projekte und der Entwicklung eines förderpädagogischen Curriculums für die ganze Russische Föderation.

Allerdings hat die schwierige wirtschaftliche Situation des Landes hat dazu geführt, dass die Löhne des Fachpersonals auf mittlerweile durchschnittlich 16.000 Rubel gesunken sind, das sind umgerechnet 225 Euro. Davon kann auch in Russland niemand ohne Existenzangst leben. Umso mehr ist die Unterstützung durch die „Initiative Pskow“ sowie Kollekten und Spenden weiterhin nötig.

Sozialste Stadt Russlands

Für Oberkirchenrat Klaus Eberl ist klar: In Zeiten politischer Spannungen erweist sich das zivilgesellschaftliche Engagement als „wichtiger Brückenbauer“. Zwischen Pskow und den rheinischen Initiativen bestehe ein stabiles Vertrauensverhältnis. Gemeinsam gelingt es, die ungeheuer schwierigen Lebensverhältnisse von Menschen zu verbessern, die sich am Rande der russischen Gesellschaft bewegen. Das hat Pskow den Namen „sozialste Stadt Russlands“ eingetragen.

Eberl: „Das große Versöhnungswerk, das sich seit dem Kriegsgedenken 1991 zwischen Pskow und der rheinischen Kirche entwickelt hat, ist ein wichtiger Beitrag dafür, dass wieder Frieden wachsen kann in einer politischen Atmosphäre des Misstrauens – und es öffnet den Blick für andere Seiten Russlands.“