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31.08.2016

Großbaustelle Armutsprävention

Fachtagung zu Kinderarmut

Artikelbild Wie lässt sich Kinderarmut bekämpfen, wie kann man ihr vorbeugen? Beim Fachtag diskutierten Fachleute u.a. aus Kitas, Kirche und Diakonie. 
Trotz vieler Anstrengungen hat die Armut in Nordrhein-Westfalen zugenommen. Besonders betroffen sind Kinder und Jugendliche. Knapp 22 Prozent von ihnen gelten laut aktuellem NRW-Sozialbericht als arm. Um ihnen eine bessere Zukunft zu geben, braucht es „Phantasie und langen Atem“. 
Artikelbild Fachtag Kinderarmut 2016 

So der Titel einer Fachtagung, auf der Familienexpertinnen und -experten aus Kirche, Diakonie und Politik über Strategien gegen Kinderarmut diskutierten. Schulobstprogramme, Talentscouting-Projekte, plus-Kita-Förderungen für Kindertagesstätten in benachteiligten Stadtteilen, das Modellprojekt „Kein Kind zurücklassen! Kommunen in NRW beugen vor“ – Seit Jahren bemühen sich Landespolitik, Sozialverbände, Kirchen und Kommunen mit einer Vielzahl von Programmen und Projekten, die Armut in bestimmten Regionen und Städten NRWs zu bekämpfen. Doch ein durchschlagender Erfolg ist bislang ausgeblieben. Im Gegenteil.

Der aktuelle Sozialbericht für 2016 belegt, dass die sogenannte Armutsrisikoquote gestiegen ist. Knapp drei Millionen Menschen sind von Armut betroffen, darunter 637.000 Kinder und Jugendliche – 1,5 Prozent mehr als noch 2010. Die meisten stammen aus Familien, in denen die Eltern einen Migrationshintergrund haben, gering-qualifiziert oder alleinerziehend sind. Im Ruhrgebiet ist jedes vierte Kind arm. Doch auch in reichen Kommunen wie Düsseldorf oder Münster gibt es Stadtteile, in denen die Armut besonders sichtbar ist.

Arme Familien wurden ärmer gemacht

„Sie spiegelt sich nicht nur in einer hohen Zahl von Hartz IV-Empfängern oder Niedriglohnjobbern, sondern auch in einer schlechten Wohnqualität, maroden Schulgebäuden und mehr Krankheitsfällen“, erklärte Gabriele Schmidt, Leiterin des Referats Grundsatzfragen des NRW-Sozialministeriums auf dem Fachtag zur Kinderarmut. Zu der Veranstaltung hatten die Evangelische Akademie im Rheinland und das Referat Sozialethik der Evangelischen Kirche im Rheinland Familienexpertinnen und -experten aus Kirche, Diakonie und Politik eingeladen.

Verschiedene Gesetzesreformen hätten arme Familien in den vergangenen Jahren zunehmend benachteiligt, kritisierte Ulrike Gebelein von der Diakonie Deutschland. So verstärke die Definition der „Bedarfsgemeinschaft“ im Sozialgesetzbuch die prekäre Lage von Kindern. Der Hartz IV-Regelsatz für Kinder sei nicht ausreichend und auch beim Bildungs- und Teilhabepaket müsse es dringend eine Neuberechnung geben.

Den Bund nicht aus der Pflicht lassen

Alle noch so gut gemeinten Unterstützungsprogramme könnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass gute Arbeit die beste Strategie gegen Kinderarmut sei, meinte Stefanie Baranski-Müller vom Deutschen Gewerkschaftsbund. Sie skizzierte den gemeinsamen Aktionsplan von DGB und der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände „Zukunft für Kinder – Perspektiven für Eltern im SGB II“, der vor einem Jahr veröffentlicht wurde.Im Blick sind dabei primär die Jobcenter. Deren Fallmanager sollen dazu beitragen, Hartz-IV-Empfänger, die Kinder haben, in Erwerbsarbeit zu bringen.

Artikelbild Helga Siemens-Weibring, Beauftragte für Sozialpolitik der Diakonie RWL und nebenamltiches Kirchenleitungsmitglied. Foto: diakonie-rwl.de 

Die Liste notwendiger Arbeitsmarkt-, Bildungs- und sozialpolitischer Reformen, die Menschen aus der Armutsfalle bringen könnte, ist also lang. Und - darin waren sich die Fachleute einig - darf keinesfalls auf die kommunale Ebene abgeschoben werden. Es müsse mehr Geld vom Bund fließen. Doch dafür seien Gesetzesänderungen nötig. „Wir können den Bund nicht aus der Pflicht lassen“, betonte Helga Siemens-Weibring, Beauftragte für Sozialpolitik bei der Diakonie RWL: „Schließlich profitiert er steuerlich am meisten davon, wenn Eltern arbeiten statt Hartz IV zu beziehen.“

Artikelbild Oberkirchenrat Klaus Eberl 

Die Verarmung der Kommunen gefährde das demokratische System, warnte der rheinische Oberkirchenrat Klaus Eberl. Doch dagegen zu steuern, bedeute, langfristige und große Förderprogramme statt vieler begrenzter Projekte aufzulegen. Eberl wies auf die wichtige Rolle der Kitas und Schulen bei der Prävention von Armut hin. „In Deutschland fließen nur 0,6 Prozent unseres Bruttosozialprodukts in die Elementarbildung, in anderen Ländern sind es zwei Prozent. Hier ist der Bund gefordert.“ 

Bildunterzeile Andrea Asch, kinder- und familienpolitische Sprecherin der Grünen-NRW-Fraktion. Foto: andrea-asch.de 

Zwei Dinge müssten dringend getan werden, um eine weitere Verfestigung der Armut zu verhindern, erklärte Andrea Asch, Sprecherin für Kinder- und Familienpolitik der NRW-Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. „Einerseits geht es darum, dass Bund und Länder die Kommunen entlasten, andererseits um eine bessere finanzielle Absicherung der Kinder und Jugendlichen.“ Wenn alle familienpolitischen Leistungen von rund 200 Milliarden Euro zusammengenommen würden, könne für jedes Kind in Deutschland eine Grundsicherung von rund 400 Euro gezahlt werden.

Der Einwand, Eltern aus sozial benachteiligten Familien würden das Geld nicht an ihre Kinder weitergeben, gelte für sie nicht. „90 Prozent der Eltern wollen alles tun, damit es ihren Kindern besser geht. Das belegen viele Studien.“ Sophie Künstler von der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main stellte in ihrem Vortrag die Studie der Bertelsmann-Stiftung „Kinder. Armut. Familie. Alltagsbewältigung und Wege zu wirksamer Unterstützung“ vor. Die Studie macht u.a. die Sorge der Eltern um die Belastung ihrer Kinder durch Mangelerfahrungen deutlich und belegt die Hürden beim Zugang zu Bildungs- und Teilhabeangeboten für die Kinder.

Auch Helga Siemens-Weibring und Klaus Eberl sprachen sich für das Modell einer Grundsicherung aus. Unter den Bedingungen von Armut verkümmere die Fähigkeit zur Selbstsorge, sagten sie. „Wir müssen Familien dazu wieder befähigen und dafür ist eine materielle Grundsicherung wichtig.“ Kordula Schlösser-Kost vom Referat Sozialpolitik der rheinischen Kirche machte deutlich, dass für arme Familien Teilhabe, strukturelle Teilhabe über Betreuung, Bildung, Beratung und Arbeit sei.