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19.10.2016

Ein Buch für Liebhaber des Denkens und der Sprache

Lutherbibel 2017

Artikelbild Modernisieren und bewahren – beides war der Experten-Gruppe Neues Testament bei der Revision der Lutherbibel 2017 wichtig. 
Ab heute wird die neue Lutherbibel 2017 auf der Frankfurter Buchmesse präsentiert. Die Sprache von Luthers Bibelübersetzung trifft einen Nerv gelebter Religion, sagt Professor Martin Karrer von der Kirchlichen Hochschule Wuppertal. Die Revision 2017 setzt deshalb auf das Original.
Artikelbild Martin Karrer, 62, ist Professor für Neues Testament und seine Umwelt an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal/Bethel. 

Herr Professor Karrer, Sie haben bei der Revision der Lutherbibel 2017 die Experten-Gruppe Neues Testament geleitet. Was hat Sie bei der Arbeit am meisten überrascht?

Die hohe Qualität von Luthers Übersetzung. Er hat verblüffend wenige Fehler gemacht. Luther ist es bis heute einzigartig gelungen, die biblische Sachaussage in die deutsche Sprache zu übersetzen.

Was stand im Mittelpunkt der Revision 2017 – modernisieren oder bewahren?

Die Verbindung von beidem. Zu modernisieren galt es dort, wo die biblische Textgrundlage sich gegenüber Luthers Zeit geändert hat – was häufig der Fall ist – , und dort, wo unser Sprachverständnis sich geändert hat – wie in der Geschlechterfrage –, schließlich dort, wo Sachaussagen zu korrigieren sind – was seltener der Fall ist. Zu bewahren und sogar wiederherzustellen galt es dort, wo Luthers Sprache bis heute verständlich geblieben ist.

Welche Kriterien haben die Experten bei dieser vierten Revision angelegt?

Ausgangspunkt war der Luthertext von 1984. Orientierung für die Revision boten erstens die Lutherbibel von 1545, zusätzlich die Lutherübersetzungen von 1522. Wo deren Wortlaut noch verständlich ist, wird ihm gefolgt oder wird er wiederhergestellt, wenn Revisionen des 20. Jahrhunderts ihn verließen. Zweitens die heutigen kritischen Ausgaben von Altem Testament, Neuem Testament und Apokryphen. Die von Erasmus von Rotterdam 1516 aus mittelalterlichen Handschriften zusammengestellte griechische Ausgabe des Neuen Testaments, die Luther für seine Übersetzung benutzte, war zu seiner Zeit die bestmögliche Quelle. Heute ist sie aber an vielen Stellen überholt. Keine einzige der großen Handschriften des Neuen Testamentes, die wir heute für maßgeblich erachten, stand Erasmus damals zur Verfügung. Der Text der Apokryphen hat sich durch die griechischen Handschriften noch mehr geändert, so dass ganze Teile davon neu übersetzt werden mussten. Drittens die fortgeschrittenen Erkenntnisse von Lexikographie und Auslegung. Luther war auf die Hilfsmittel seiner Zeit angewiesen, die damaligen Lexika und Grammatiken, und hat mit ihnen vorzüglich gearbeitet. Aber die Wissenschaftler damals kannten viele Quellen noch nicht, die inzwischen zu Korrekturen zwingen.

Treue gegenüber Luther und dem Urtext gleichermaßen – wie geht beides zusammen?

Gut, denn Luther suchte die Treue zum Urtext. Er korrigierte seine Bibelübersetzung zwischen 1521/22 – der Erstellung des Neuen Testaments – und 1546 – seinem Todesjahr – fortlaufend, um den Urtext zu erfassen. Die Lutherbibel ist deshalb schon zu seinen Lebzeiten mehrfach am Urtext korrigiert und sprachlich revidiert worden. Wir heute setzen die Arbeit Luthers und seines Teams mit den aktuellen Möglichkeiten fort. Die Protokolle der Revisionsarbeit von Luthers Team sind übrigens in großem Umfang erhalten. Deshalb lassen sich sogar die Arbeitsweisen vergleichen: Wie damals notierten und diskutieren wir die Änderungen, bevor wir sie entschieden.

Die Revision des Neuen Testaments von 1975 löste unter Kritikern einen Sturm der Entrüstung aus. Walter Jens sprach gar vom „Mord an Luther“. 1984 erfolgten deshalb große Korrekturen. Ist Luther 2017 vollends wieder auferstanden?

Die Revision von 1975 bemühte sich, die Lutherübersetzung der Sprache des 20. Jahrhunderts anzupassen, und nahm damit ein wichtiges Anliegen Luthers auf, nämlich in der Gegenwartssprache zu reden. Diese Revision ist insofern ausdrücklich gegen ihre Kritiker zu würdigen. Wir sehen allerdings heute einen zentralen Punkt sprachlich anders. Der jetzigen Revision ist wichtig, dass die Sprache von Luthers Bibel verstehbar ist. Wir verlangen nicht mehr, dass sie auch so wie in der Bibel im heutigen Alltag gesprochen wird; dazu ist der Abstand zum 16. Jahrhundert zu groß. Wer die dadurch mögliche Rückkehr zu vielen Formulierungen Luthers seine Auferstehung nennen will, mag das tun. Aber auch eine Bibel, die die heutige Gegenwartssprache wählt, lässt ein Anliegen Luthers auferstehen.

Was zeichnet Luthers Sprache aus?

Ihm gelang es einzigartig, die Aufgabe einer Übersetzung zu erfüllen: den Sinn des Textes aus der Ausgangssprache in die Zielsprache zu übertragen. Um dieser Aufgabe willen schuf er einen eigentümlichen Klang der Zielsprache, der die neuhochdeutsche Sprache tief beeinflusst hat. Heute müssen wir zugleich eine wichtige Veränderung beachten: Im 16. Jahrhundert war Luthers Sprache modern. Heute ist sie außeralltäglich. Sie trifft einen Nerv von Religion, wenn Religion die Begegnung mit dem Außeralltäglichen meint. Viele Leserinnen und Leser, denen wir den jetzigen Luthertext vorlegten, sind gerade von diesem außeralltäglichen Sprachklang beeindruckt. Das bedeutet freilich, dass wir, um Luther insgesamt gerecht zu werden, neben der Lutherbibel auch moderne Übersetzungen brauchen, die das gleichfalls zentrale Anliegen des Christentums dokumentieren: Das Christentum wirkt und lebt im Alltag.

Wir legen heute viel Wert auf eine inklusive Sprache, die männliche und weibliche Formen gleichrangig nebeneinander stellt. Wird das bei Luther 2017 berücksichtigt?

Ja. Wo „Brüder“ in der Sache „Brüder und Schwestern“ meint, haben wir versucht, das wiederzugeben. Das führt vor allem in den Briefen des Neuen Testaments zu gewichtigen Änderungen.

Warum sollten sich Christinnen und Christen die neue revidierte Lutherbibel kaufen?

Darauf gibt es eine protestantische, eine ökumenische und eine humanistische Antwort. Die protestantische: Die Lutherbibel steht für die Grundlagen der evangelischen Konfessionsfamilie. Sie lassen sich bis heute am besten durch diese Bibel vergegenwärtigen. Die ökumenische: Der Bibeltext ist allen Konfessionen gemeinsam. Ich fand bei der Durchsicht keine einzige Stelle, die Konfessionen trennen muss. Die Lutherbibel kann daher heute auch helfen, die christlichen Konfessionen zusammenzuführen. Ich würde dazu in Zukunft übrigens einiges im Druck ökumenischer gestalten. Aber im Jahr 2016 ist wichtiger, ökumenisch die gleichfalls gerade erscheinende revidierte Einheitsübersetzung neben die Lutherbibel legen zu können. Auch eine Antwort für alle, die keiner Konfession angehören, sollten wir nicht vergessen: Die revidierte Lutherbibel erlaubt ihnen, das Christentum in dieser besonders die deutsche Kultur über Jahrhunderte wesentlich beeinflussenden Gestalt kennenzulernen. Der Blick in die Lutherbibel lohnt sich für Christen, Liebhaber des Denkens und Liebhaber der Sprache.