Kontakt | Impressum

Links zur Aggregation:

Metadaten:

12.09.2016

Erfreut und überrascht

Studientag "Weggemeinschaft und Zeugnis – muslimische Perspektiven"

Artikelbild Abschlusspodium (vl.): Dunya Adigüzel, Bernd Ridwan Bauknecht, Hamideh Mohagheghi, Dorothee Schaper, Kaan Orhon, Nurhan Syokan und Manfred Rekowski. 
„Wir sind heute eine Weggemeinschaft der Lernenden“. Mit diesen Worten spielte Pfarrerin Dorothee Schaper, Studienleiterin an der Melanchthon-Akademie Köln, zu Beginn des Studientags zum christlich-muslimischen Dialog auf den Diskussionsimpuls „Weggemeinschaft und Zeugnis im Dialog mit Muslimen“ an. 
Artikelbild Dem christlich-muslimischen Dialog gehen verschiedene Papiere voraus. 

Dieser Implus wird zurzeit in Gemeinden, Kirchenkreisen und Einrichtungen diskutiert und war Gegenstand des Studientags. Das 2015 von der Evangelischen Kirche im Rheinland vorgelegte Papier zum christlich-muslimischen Dialog hatte sofort nach Erscheinen für Diskussionsstoff gesorgt – im Blick auf die Ausführungen zum Missionsgedanken. „Was wir demnach heute nicht wollen, ist eine strategische Mission, bei der Menschen zum Objekt gemacht werden. Wir verfolgen nicht den Plan, Menschen nur zu begegnen, um sie zu Christen zu machen“, erklärte damals Oberkirchenrätin Barbara Rudolph. Vielmehr gehe es darum, durch gelebten Glauben andere Menschen neugierig zu machen auf das Christentum. Mehrere Studientage, eine Online-Diskussionsplattform und andere Formen dienen dazu, über das Papier zu debattieren – und dann wird es auf der Landessynode 2018 ausführlich Thema sein.

Artikelbild Rafael Nikodemus 

„Weggemeinschaft und Zeugnis – muslimische Perspektiven“ hieß nun der Studientag in Köln. Es sei wichtig, muslimische Einschätzungen zu hören, denn letztlich gehe es um das Miteinander in einer Gesellschaft, „in der wir alle zusammenleben“, so Kirchenrat Rafael Nikodemus, bei der rheinischen Landeskirche Dezernent für den christlich-muslimischen Dialog. 

Artikelbild Hamideh Mohagheghi 

Die Runde der muslimischen Expertinnen und Experten eröffnete Hamideh Mohagheghi, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Komparative Theologie und Kulturwissenschaften für die islamische Theologie an der Universität Paderborn. Sie engagiert sich seit mehr als dreißig Jahren im christlich-muslimischen Dialog.

„Ich bin erfreut und überrascht gewesen, wie viel sich seit dem letzten, 2006 veröffentlichten Positionspapier verändert hat “, stellte sie gleich zu Anfang unter Bezugnahme auf die EKD-Handreichung „Klarheit und gute Nachbarschaft“ fest. „Sie haben in dem Papier ‚Weggemeinschaft‘ wirklich ernst genommen“, unterstrich die Juristin und islamische Theologin.

Die Zusammenarbeit in gesellschaftlichen Fragen liegt ihr vor allem am Herzen. „Es gibt eine Gleichwertigkeit aller Menschen vor Gott, daraus kann keine Ungleichheit werden. Vielfalt in der Schöpfung ist ein Gottesplan“. Deshalb dürfe man nicht in erster Linie auf die religiösen Unterschiede sehen, sondern man müsse „aus dem Glauben heraus schauen, was uns als Menschen verbindet und was wir gemeinsam für diese Gesellschaft tun können“. 

Bildunterzeile Zuhörende bei den "muslimischen Perspektiven". 

Dabei hätten Christen und Muslime in den vergangenen Jahrzehnten vieles erreicht. „Vor dreißig Jahren waren nur Begegnungen im Kleinen möglich.“ Diese Fortschritte habe es vor allem deshalb gegeben, weil trotz Konflikten immer wieder das Gespräch gesucht wurde.

Im Unterschied zum gesellschaftlichen Dialog, bei dem es auf gemeinsames Handeln und gemeinsame Ziele ankomme, sei es beim theologischen Dialog von Christen und Muslimen wichtig, Unterschiede zu benennen und Differenzen auszuhalten, so die Theologin.

Im Blick auf die durch das Papier innerkirchlich ausgelöste Missionsdebatte lehnte Mohagheghi den Missionsgedanken aus muslimischer Sicht ab . Zwar gebe es auch im Islam eine Einladung zum Glauben, aber diese Einladung sei eine Wegbegleitung mit gutem Gespräch, kein Zwang. Deshalb plädiert sie für ein wertschätzendes Nebeneinander von Christen und Muslimen und gleichzeitig für eine Anerkennung von Unterschieden.

Im Blick auf das unterschiedliche Gottesverständnis von Muslimen und Christen und auf das Bekenntnis von Jesus als dem Sohn Gottes erklärte sie: „Das muss ausgehalten werden.“ Sie könne „da nicht mitgehen, aber ich kann respektvoll und wertschätzend damit umgehen“.

Auf dieser Grundlage setzt sich Mohagheghi dafür ein, dass Muslime und Christen in besonderen Situationen auch miteinander beten können, zum Beispiel in einer Notfallsituation. Hier müsse man sich zuerst fragen: „Was verbindet mich mit meinem Nachbarn, der nicht meinen Glauben hat?“ Wenn deutlich werde, dass es ein Herzensanliegen sei, gemeinsam zu sprechen, dann solle man sich die Freiheit nehmen, über die Religionen hinweg gemeinsam zu beten. 

Bildunterzeile Hüseyin Inam 

Der Islamwissenschaftler Hüseyin Inam, Mitglied des Muslimischen Theologen- und Theologinnenbundes in Europa e.V., betonte in seinem Impulsvortrag, im Koran werde ausdrücklich gesagt, dass es bis zum Ende der Welt Vielfalt geben werde. Deshalb sollten die Menschen sich auf das gesegnete und gute Handeln konzentrieren und darin wetteifern, aber nicht den Mitmenschen vom eigenen Glauben zu überzeugen versuchen.

Auch Inam plädierte dafür, Unterschiede anzuerkennen und auszuhalten. Er zitierte den Koran: „Seid in Bezug auf das aufrichtig, was euch in eurer Religion auferlegt wurde.“ Darüber hinaus sei es wichtig zu streiten: „Im innerislamischen Dialog riskieren wir den Streit wie in der Familie.“ Dieses konstruktive Streiten müsse auch unter Christen und Muslimen möglich sein. Zur rheinischen Arbeitshilfe habe er zwar noch einige Fragen, doch insgesamt sei sie ein zukunftsweisender Beitrag für den christlich-muslimischen Dialog. 

Bildunterzeile Daniel Roters 

Ein drittes Statement kam von Daniel Roters, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Studienberater am Zentrum für Islamische Theologie an der Universität Münster. Roters kritisierte, dass der Islam im christlich-muslimischen Dialog häufig nur Objekt des Dialogs ist. Dabei sei die ‚Familie des Stammvaters Abraham, auf die sich die jüdischen, christlichen und muslimischen Traditionen beziehen, gerade ein Bild für den gleichberechtigten Dialog.

Das halte auch der Diskussionsimpuls „Weggemeinschaft und Zeugnis“ fest: „Menschen aus verschiedenen Völkern stehen hier in komplexen und zum Teil konflikthaften Familienbeziehungen. Diese werden jedoch geheilt und lebbar durch den Segen und die Verheißungen Gottes, die ihnen allen gelten.“ Dieser herrschaftsfreie Dialog, so Roters, müsse weiter eingeübt werden.

Roters ging auch auf die innerislamische Situation ein. Hier sei es notwendig, dass sich der Islam zunächst einmal theologisch verorte: „Wir müssen darüber nachdenken, wie wir im Islam Wissenschaftstheologie treiben und bekannt machen.“ Dabei dürfe sich die Sicht nicht auf den Koran konzentrieren, die Breite der exegetischen Tradition müsse ebenfalls wahrgenommen werden, forderte Roters.

Bildunterzeile Mitdenken, hören, aufnehmen: Studientag "Weggemeinschaft und Zeugnis". 

Wie Mohagheghi und Inam grenzte sich der Jurist, Historiker und Islamwissenschaftler von dem Gedanken einer aktiven muslimischen Mission ab. Auch dürften Gewalttraditionen nicht geleugnet werden, es müsse aber deutlich werden, dass es diese Traditionen sowohl im Islam als auch in Judentum und Christentum gebe.

Roters betonte darüber hinaus den gesellschaftlichen Kontext, in dem der Diskussionsimpuls zu sehen ist. Nach den Attentaten vom 9. September 2001 begegne man dem Islam in Deutschland mit Skepsis. Hinzu komme die instabile Lage im Nahen und Mittleren Osten. Deshalb sei es umso wichtiger, sich im Dialog von festgelegten Bildern zu verabschieden. „Wir brauchen Offenheit“, so Roters.

Auch Roters plädierte für gemeinsames gesellschaftliches Handeln von Christen und Muslimen: „Christen reden hier im Rheinland mit Muslimen, die im Rheinland leben.“ Er unterstrich die Notwendigkeit, Gemeinsamkeiten zu stärken: „Wir müssen neue Erzählweisen finden für unsere Erfahrungen, die wir gemeinsam als Christen und Muslime in dieser Gesellschaft machen.“

Nach Einschätzung von Studienleiter Jörgen Klussmann von der Evangelischen Akademie im Rheinland hat der christlich-islamische Dialog wesentlich zur Integration von Muslimen in Deutschland beigetragen. „Ohne die Dialogbereitschaft wäre es heute wesentlich schlechter um das Miteinander von Christen und Muslimen bestellt“, so der Islam- und Politikwissenschaftler. 

Bildunterzeile Auch schwierige Themen wurden besprochen. 

Im Anschluss an die Phase von Workshops, eben auch zum Thema „Taufe und Konversion“, sagte Hamideh Mohagheghi, die christlichen Kirchen seien „im Moment sehr gefragt“. Manche Flüchtlinge fänden hierzulande „vielleicht einen Glauben, der sie weiterbringt“. Oder sie hätten das Gefühl, hierzulande als Christin oder Christ besser dazuzugehören.

Das Thema sei schwierig, Instrumentalisierung von beiden Seiten nicht ausgeschlossen, deshalb ihr Wunsch: dass es vor einer Entscheidung für Taufe oder Konversion zumindest „eine gewisse Zeit der Ruhe und Besinnung“ geben möge. Damit ein solcher Schritt aus eigener Überzeugung geschehe.

Bildunterzeile Manfred Rekowski 

Später in dieser Abschlussdiskussion betonte Präses Manfred Rekowski, dass Missbrauch ausgeschlossen sein soll. Und in ihrem diakonischen Engagement frage die Kirche nicht nach Konfession und Religion. Zugleich nehme er Glaubensentscheidungen „erstmal ernst“.

Weiter ermutigte der Präses die muslimische Seite – gerade auch, weil sie größer geworden ist - zu einer aktiveren Rolle, konkret im Blick auf einen eigenen Wohlfahrtsverband. Der Präses betonte grundsätzlich: „Wir sind an den muslimischen Perspektiven sehr interessiert und wollen mit Ihnen gemeinsam überlegen, welche Beiträge wir zum gesellschaftlichen Zusammenhalt leisten können und müssen.“

Der Präses hat auf dem Podium auch von intensiven Gesprächen mit Landespolitikern über die Stimmung im Blick auf den Islam gesprochen: „Das Maß der Ratlosigkeit und Perspektivlosigkeit macht mir sehr zu schaffen.“ Dabei seien diese Eindrücke „Lichtjahre entfernt“ von seinen eigenen Erfahrungen in Wuppertal, wo Menschen guten Willens Beiträge zum Zusammenhalt in der Gesellschaft leisten. 

Bildunterzeile Bernd Ridwan Bauknecht 

Ein Plädoyer für die Etablierung gemeinsamer religiöser Feiern in Schulen hielt in der Abschluss-Podiumsdiskussion der Lehrer für Islamischen Religionsunterricht in Bonn, Bernd Ridwan Bauknecht. Schließlich bräuchten Schülerinnen und Schüler mehr als Informationen, nämlich auch Begegnungen. 

Bildunterzeile Kaan Orhon 

Stichwort gesamtgesellschaftliche Aufgabe: Als solche bezeichnete der Islamwissenschaftler Kaan Orhon auch die Bekämpfung von Radikalisierung und Extremismus. Aus seiner Präventionsarbeit im Blick auf radikal-islamistische Jugendliche wisse er: Die Hälfte der Familien habe gar keinen muslimischen Hintergrund. 

Bildunterzeile Dunya Adigüzel 

Auch die Flüchtlingshilfe ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, betonte Dunya Adigüzel von der Islamischen Gemeinschaft Milli Görus. Ihre Erfahrung: Wo der interreligiöse Dialog fest etabliert ist, klappe die Zusammenarbeit selbstverständlich. 

Bildunterzeile Nurhan Soykan 

Von der Gründung des „Verbandes muslimischer Flüchtlingshilfe“ im März berichtete Nurhan Soykan. Zuvor habe man Flüchtlingen im Ausland geholfen - in Deutschland Hilfe anzubieten sei neu.