Kontakt | Impressum

Links zur Aggregation:

Metadaten:

30.05.2017

„Sie bewegt sich, sie schwebt“

Kirchenrückbau

Artikelbild Ein Kran hebt die Glocke der Overather Versöhnungskirche samt Kreuz und Gebälk ab. Ein sichtbarer Schritt beim Rückbau der Kirche, die im Freilichtmuseum in Kommern in der Eifel wiederaufgebaut wird. 
Ein Umzug: Die Versöhnungskirche des Architekten Otto Bartning wird in Overath ab- und im Freilichtmuseum Kommern wiederaufgebaut. Und während Handwerker die Glocke samt Kreuz und Gebälk abmontieren, denken Gemeindemitglieder über ihre Beziehung zu dem Kirchengebäude nach.
Artikelbild Die Bartning-Kirche will Museumsdirektor Josef Mangold in Kommern aufstellen. 

Es sind sechs Bolzen, die die Handwerker weit oben mit einem Hammer von den Holzbalken entfernen. Dann ist der Glockenstuhl vom Dach der evangelischen Versöhnungskirche im rheinisch-bergischen Overath gelöst, und ein Lasthaken greift in seine Querstreben. „Jetzt geht‘s los“, ruft Zimmermann Helmut Schmitz. Über eine Fernsteuerung lenken er und seine Kollegen vom Freilichtmuseum Kommern mit einem Kran den Holzbau samt Kreuz und Glocke durch die Luft. Das ist ein sichtbarer Schritt beim Rückbau der Overather Kirche, die ab diesem Winter in dem Museum des Landschaftsverbands Rheinland in Kommern in der Eifel restauriert und wiederaufgebaut wird.

„Historisch gesehen, ist diese Kirche für uns ein besonderes Gebäude“, sagt Josef Mangold, Direktor des Kommerner Museums. „Denn sie gehört zu den sogenannten Notkirchen, die Otto Bartning nach dem zweiten Weltkrieg entwarf.“ Als Leiter des „Evangelischen Hilfswerks“ realisierte der 1959 verstorbene Architekt Bartning diese Kirchenbauten aus vorgefertigten Holzbindern. Seine im Volksmund auch „Kirchen von der Stange“ genannten Gebäude deckten den großen Bedarf an sakralen Räumen: Gemeinden, deren Kirchen im Krieg zerstört und die mit den hinzugeflüchteten Protestantinnen und Protestanten stark angewachsen waren, fanden in ihnen Platz für Gemeinschaft und Gottesdienst.

„Da bekomme ich eine Gänsehaut“

Die Versöhnungskirche der Evangelischen Kirchengemeinde Overath gehört zum Typ „Diasporakapelle“ und ist eine der mehr als 90 noch erhaltenen Bartning-Kirchen in Deutschland. Sie wurde 1951 mit Spenden aus der Schweiz errichtet. „In den alten Unterlagen wird der Kauf ihrer Glocke mit 750 Mark ausgewiesen“, berichtet Museumsdirektor Mangold. Am Seil des Krans schwebt dieses bronzene Läutegerät jetzt auf einen Lastwagen zu.

„Ziehet, ziehet, Hebt! Sie bewegt sich, schwebt.“ Laut zitieren im benachbarten Gemeindehaus die Besucherinnen und Besucher der Demenzgruppe das „Lied der Glocke“ von Friedrich Schiller. „Da bekomme ich eine Gänsehaut“, sagt Waltraud Weck, die die Gruppe ehrenamtlich leitet. Es sei doch traurig, wenn das eigene Kirchengebäude weggetragen werde, findet sie.

Artikelbild Die Zimmerleute nehmen die Glocke mit ins 80 Kilometer entfernte Kommern. 

Natürliche wecke der Rückbau der Kirche gemischte Gefühle, sagt Gemeindepfarrer Karl-Ulrich Büscher. „Doch vor allem die demografische Entwicklung fordert ein neues Konzept für unsere Gebäude.“ Derzeit hat die Kirchengemeinde 4600 Mitglieder, im Jahr 1995 waren es noch 5500. Ihre bisherigen zwei Gottesdienststätten legt die Overather Gemeinde daher zusammen. Grund dafür sind auch der hohe Energieverbrauch und fällige, aber teure Restaurierungen an der Versöhnungskirche. Die Friedenskirche der Gemeinde im Stadtteil Neichen ist bereits für 600.000 Euro an die Freikirche Overath verkauft worden, die am Ostersonntag entwidmete Versöhnungskirche wurde vor Kurzem an das Kommerner Museum verschenkt. An ihrem bisherigen Standort wird ein Kirchen-Neubau für geschätzte 2,2 Millionen Euro entstehen.

Ein Umzug und ein Neuanfang

„Es ist wie bei einem Umzug, der ist doch auch immer ein Neuanfang“, sagt Küsterin Ilona Bockheim, die sich auf die neue Kirche freut. Wenn morgens die Handwerker aus dem 80 Kilometer entfernten Kommern eintreffen, dann hat sie ihnen schon Kaffee gekocht und Wasser und Obst bereitgestellt. Mit nach Kommern ins Museum haben die Fachleute bereits die Schiefer vom Giebel der Versöhnungskirche sowie ein Parament aus den 50er Jahren genommen. Neben Nissenhütte, Eiscafé oder einem Fertigbauhaus von Quelle wird die Overather Bartning-Kirche im Museum später ein Teil des 25 Hektar großen „Marktplatz Rheinland“ sein. „Mit Originalgebäuden wollen wir den Menschen dort auch einen emotionalen Zugang zum Leben und Wohnen in der Region seit der Nachkriegszeit bieten“, sagt Museumsdirektor Mangold.

Artikelbild Zeinab (li.) und Mani Beigzadeh (re.) wollen mit Annemarie Arndt und Arnulf Ruffmann die Kirche in Kommern besuchen. 

„Kirche ist das, was darin passiert“

Viele Gefühle verbindet Annemarie Arndt mit der Versöhnungskirche: In diesem Gebäude wurden ihre Kinder konfirmiert, in ihm feierte sie Silberhochzeit und nahm Abschied von ihrem verstorbenen Mann, hier lernte sie Jahre später ihren neuen Partner kennen. Doch letztendlich sei es eben nur das: ein Gebäude, meint die Seniorin. „Die wirkliche Kirche, das sind viel mehr die Liebe, die Gebete und die Gemeinschaft der Menschen, die im Gebäude wirken – und das nehmen wir ja alles mit ins neue Haus.“

„Wir blicken nach vorne“, bekräftigt ihr Lebensgefährte Arnulf Ruffmann, der 1956 als Flüchtling eine neue Heimat in der Overather Kirchengemeinde fand. Mit ihm und Annemarie Arndt betrachten Zeinab und Mani Beigzadeh, die vor eineinhalb Jahren aus dem Iran geflüchtet sind, den Fortschritt der Abbauarbeiten. Und mit Blick auf das abgedeckte Dach, das Baugerüst und den Container mit Bauschutt beschließen das ältere und das junge Paar: Ihre Kirche werden sie in Kommern auf jeden Fall später einmal besuchen.

Geplant ist das Richtfest an der Versöhnungskirche nach ihrem Wiederaufbau im Museum am 12. April 2018, dem 135. Geburtstag von Otto Bartning. Die Einweihung der Kirche soll im Juli 2019 stattfinden.