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Warum ist es heute so schwierig, plausibel von Gott zu reden?

Vortrag von Dr. Frank Vogelsang

Artikelbild Vortrag von Dr. Frank Vogelsang: Wozu noch Christentum? Foto: Dorothea Zügner 
Wie können wir in unserer Zeit von Gott reden, ohne irrational zu erscheinen? Dieser Frage stellte Akademiedirektor Dr. Frank Vogelsang am 18. September 2017 bei seinem Vortrag in der Dornbuschkirche in Bonn-Holzlar. Eingeladen hatte die Evangelische Gemeinde Bonn-Holzlar.

„…denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.“ Gal 3, 28

Für viele Menschen, auch für viele getaufte Christen spielen in unserer modernen, von Technik und Naturwissenschaften geprägten Gesellschaft Glaube und Religion kaum noch eine Rolle oder haben gar keinen Einfluss mehr auf ihr Leben. Das persönliche Reden von Gott ist heute höchst problematisch geworden und spielt sich oft, wenn überhaupt, in einem ganz inneren, mit anderen kaum geteilten Bereich einer Person ab.

Warum ist es heute so schwierig, plausibel von Gott zu reden? „Diese Frage berührt auch unser Menschenbild und, noch weitergehend, das Bild, das wir von der Wirklichkeit haben“, unterstrich Frank Vogelsang bei diesem Themenabend.

Christlicher Glaube und naturwissenschaftliche Erkenntnis sind unterschiedliche Sichtweisen auf die Wirklichkeit

In seinem Vortrag unter dem Titel „Wozu noch Christentum heute?“ – in Anlehnung an einen Buchtitel des Theologen Norbert Scholl (* 1931) – stellte er den Zuhörerinnen und Zuhörern seine Gedanken dazu vor. Er legte anschaulich dar, dass sich der christliche Glaube einerseits und die Erkenntnisse und Verfahren der Naturwissenschaften als bedeutende Errungenschaften der Menschheit (z.B. in Technik und Logik) andererseits gerade nicht ausschließen müssen, sondern als sich ergänzende und letztlich einander durchdringende Sichtweisen auf die Wirklichkeit begriffen werden können.

Prinzipiell beschreibt Vogelsang den Menschen als ein leibliches und somit endliches Wesen. Die Welt kann er mit Hilfe naturwissenschaftlicher Methoden nur begrenzt betrachten, denn sie ist nicht ausschließlich zu betrachtendes Objekt. Vielmehr ist der Mensch gleichzeitig immer Teil der zu erforschenden Wirklichkeit. „Wir leben immer schon aus einer radikalen Verbundenheit mit der Wirklichkeit und anderen Menschen und können so auch der Nähe Gottes auf die Spur kommen“, hält Vogelsang fest.

Das Verhältnis von Subjekt und Objekt wechselte in der Philosophiegeschichte
In seiner Begründung geht er zunächst im Rückblick auf die Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte auf die erkenntnistheoretischen Überlegungen von René Descartes ein, der im 16. Jahrhundert mit der Formel „Cogito, ergo sum“ („Ich denke, also bin ich“) die Fähigkeit des vernunftbegabten Menschen betont, die Welt durch distanzierte und methodische Zweifel einschließende Analysen erkennen zu können. Dadurch kommt es allerdings zu einem Bruch zwischen Körper und Geist, Ich und Welt, Innen und Außen sowie zwischen Subjekt und Objekt. In diesem Zusammenhang nennt Vogelsang weitere, teils parallele oder spätere Strömungen der Geistesgeschichte, z.B. die Romantik, die eine Gegenbewegung dazu bilden. Ihre zentralen Motive sind genau das Gegenteil des „Cogito ergo sum“, eines nüchternen, distanzierten Blicks auf die Wirklichkeit, nämlich Momente des Schaurigen, Unbewussten oder des Fantastischen.

Leiborientierte Philosophie des 20. Jahrhunderts:
„Der Leib ist Subjekt und Objekt zugleich“

Auch im 20. Jahrhundert wurde die strikte Trennung von Geist und Körper, Subjektivem und Objektivem, Innen und Außen kritisiert, vor allem ausgehend von der phänomenologischen, leiborientierten Philosophie eines Maurice Merleau-Ponty (1908-1961) sowie von der Philosophie von Bernhard Waldenfels (*1934). Merleau-Ponty betonte eine Nichtunterscheidbarkeit von Körper und Geist, widerspricht also vehement der strikten Trennung, vielmehr sei der Leib Subjekt und Objekt, zugleich die Verbundenheit des Unterschiedenen. Deutlich würde dies, wenn zum Beispiel die rechte Hand die linke berührt, sie wird physisch empfunden, aber auch die linke Hand empfindet die rechte. Der Körper wird „empfindendes Ding“, „subjektives Objekt“ (Merleau-Ponty).

Das Nahe und Existentielle kann nicht eindeutig beschrieben werden

Aus dieser zentralen Neubetrachtung des Leibes leitet Vogelsang eine immer unmittelbare, mal nähere oder mal fernere Verbundenheit des Menschen mit der Wirklichkeit ab. Diese Verbundenheit präge alle Menschen, weil sie leibliche Wesen sind. Für das, was uns besonders nahe und existenziell angeht, gäbe es allerdings keine deutlichen und fixierten Aussagen, mit Sprache und Metaphern könnten wir uns lediglich an das so Erlebte annähern.

Beispiel: Das Erlebnis der Musik
Ein Beispiel für besondere Nähe der Wirklichkeit ist das Hören von Musik, das zwar musikalisch in Notation und Aufführungsbedingungen und -qualitäten beschrieben werden kann, das Hörerlebnis selbst aber kann nicht in „objektiver“ Weise zum Ausdruck gebracht werden. Auch Erzählungen zum Beispiel über das eigene Leben seien lediglich sprachliche Versuche, immer wieder sich verändernde Annäherungen an das, was uns ausmache und keinesfalls ein für alle Mal gültige, vollständige, „objektive“ Beschreibungen.

Glaubenserfahrungen sind Erfahrungen intensiver Verbundenheit …
Welche Folgen diese Einsichten nun für den christlichen Glauben und die Rede von Gott haben, erschließt sich für Vogelsang zum Abschluss seines Vortrages so: „Glaubenserfahrungen sind Erfahrungen von besonders intensiver Verbundenheit und zeigen sich eindringlich in dem, was nah ist.“ Gott sei weder irgendwo in einem fernen „Jenseits“ noch bloß im „Inneren“, subjektiven Belieben eines Menschen zu verorten. Bezugspunkte der Glaubenserfahrungen sind die biblischen Texte, z.B. die Paulusbriefe oder das Johannesevangelium, die in der besonderen Formulierung „In Christus sein“ immer wieder die Verbundenheit und Nähe Gottes bezeugen. Durch die Zuwendung Gottes, seine Liebe, ist er radikal nah, und wir erkennen im anderen Menschen den Nächsten.

Vogelsang schließt mit dem Hinweis, dass auch Martin Luther mit seiner Forderung, von der „Mitte der Schrift“ her müsse die Bibel ausgelegt werden, den in den Evangelien verkündigten Christus als aktuelles und lebendiges Geschehen und eben nicht als Dogma versteht. Auch Dietrich Bonhoeffer hat schon in seiner Dissertationsschrift „Sanctorum Communio“ von 1927 immer wieder auf die reale Gegenwärtigkeit Gottes hingewiesen.

… denen man sich nur über Erzählungen oder Metaphern annähern kann
Für Glaubende bleibt die Ambivalenz und Schwierigkeit bestehen, Gotteserfahrungen angemessen auszudrücken, weil sie eben nicht begründet und „bewiesen“ werden, sondern nur mit Sprache – in Form von Erzählungen und Metaphern – bezeugt werden können: Dieses so Gesagte beinhaltet demnach auch das Unaussprechliche als „reales“ Erleben.

Nach dem Vortrag ergaben sich Fragen und Anregungen aus dem Publikum, auf die Frank Vogelsang ausführlich einging.

Dorothea Zügner, Wachtberg