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15.02.2020

Wie groß ist des Allmächt'gen Güte (eg 662)

Choralandacht | 15.02.2020 | 00:00 Uhr

Alttext  

Musik 1: Selbstproduktion (Klavier, overvoiced)

Autor: Müde und erschöpft geht er durch die dunklen Gassen von Leipzig. Es regnet in Strömen. Aber das macht ihm nichts aus. Nach so einem Tag ist er erst einmal froh, für sich sein zu können. Keine Leute um ihn herum, die ihn irgendetwas fragen wollen. Das genießt er jetzt schon, auf dem Heimweg von der Universität nach Hause.

Der Hörsaal war wieder brechend voll gewesen. Ein paar hundert Leute werden es wohl gewesen sein. Alle waren gekommen, um seine Vorlesung zu hören.

Poesie, Rhetorik und Moral- das waren seine Themen als Professor der Philosophie. Mit seinen Veranstaltungen war er längst der Star der Leipziger Uni geworden. Er hatte eine steile Karriere hingelegt. Dabei war sein Weg kein leichter gewesen. Er kam aus ärmlichen Verhältnissen. War das fünfte von dreizehn Kindern. Sein Vater verdiente als Pfarrer nicht genug. Und so musste er seine Ausbildung abbrechen und erst einmal Geld verdienen.

Er arbeitete eine ganze Zeit lang als Hauslehrer, bis er dann im Jahr 1744 sein Studium doch noch abschließen konnte. Er schaute zurück auf diese Zeit voller Entbehrungen. Noch in Gedanken verloren kommt er zuhause an.

Jetzt endlich die Füße hochlegen und in Ruhe erst mal eine Tasse Tee genießen! Wie er an diesem Abend im Wintersemester 1757 so in seinem gemütlichen Sessel sitzt, überkommt ihn ein Gefühl von wohliger Wärme und tiefer Dankbarkeit.

Christian Fürchtegott Gellert heißt der Mann, von dem hier die Rede ist. Als er im Jahr 1757 den Text unseres heutigen Chorals gedichtet hat, war er längst ein bekannter und gefragter Wissenschaftler. Aber er blieb trotz seines Erfolgs auf dem Teppich. War voller Dankbarkeit für seinen Lebensweg bis hierher. Und ja: Er wollte seiner Dankbarkeit auch Ausdruck verleihen.

Musik 2: Choral (Str. 1) Track 5: „Wie groß ist des Allmächtigen Güte?“ CD: Am Himmel hell und klar, Die schönsten Lieder von Matthias Claudius und seinen Zeitgenossen, Text: Christian Fürchtegott Gellert, Melodie: Justin Heinrich Knecht, Interpreten: Das Solisten-Ensemble, Leitung : Gerhard Schnitter, Verlag: Hänssler, LC-Nr.: 06047. Wie groß ist es Allmächt‘gen Güte. Ist da ein Mensch, den sie nicht rührt, der mit verhärtetem Gemüte den Dank erstickt, der ihm gebührt?! Nein, seine Liebe zu ermessen, sei ewig meine größte Pflicht. Der Herr hat meiner nicht vergessen, vergiss, mein Herz, auch seiner nicht.

Autor: Gott denkt an mich. Er vergisst mich nicht. Was für ein Gottvertrauen, das aus diesen Worten spricht. Wie kommt Gellert dazu? Sein Lebensweg ist der Schlüssel. Es ist ja so: Gottvertrauen speist sich aus Lebenserfahrungen.

Erfahrungen- das ist reflektiertes Erleben. Im Nachsinnen deute und gewichte ich das, was ich erlebe. Das Erleben allein macht also noch keine Erfahrung aus. Erst, wenn ich das Erlebte nachklingen lasse. Erst, wenn ich mir Zeit nehme, das, was geschehen ist, zu bedenken, kann Erfahrung Gestalt gewinnen.

Wie ordne ich das, was mir widerfährt, ein? Hat es für mich eine Bedeutung auf meinem Lebensweg?

Musik 1: Selbstproduktion (Klavier)

Autor: Es ist schade! Solches Nachsinnen und Besinnen geht heute in dieser schnelllebigen Zeit leicht verloren. Das, was ich erlebe, verfliegt im Nu. Eine Woche ist so schnell vorbei. Die Monate fliegen dahin. Da verliert ein einzelnes Erlebnis leicht an Wert und Bedeutung. Und sei es noch so schön. Ich vermute, das könnte der Grund dafür sein, dass viele Menschen von Event zu Event hetzen. Sie wollen immer mehr erleben. Aus dem Event muss ein Mega-Event werden. Doch das hat seinen Preis: Die Erfahrung bleibt dabei auf der Strecke. Denn Erfahrung braucht ja Stille, braucht Resonanz, braucht Nachsinnen. Ruhe. Weniger ist manchmal mehr.

Musik 2: Choral (Str. 2): Wer hat mich wunderbar bereitet? Der Gott, der meiner nicht bedarf. Wer hat mit Langmut mich geleitet? Er, dessen Rat ich oft verwarf. Wer stärkt den Frieden im Gewissen? Wer gibt dem Geiste neue Kraft? Wer lässt mich so viel Glück genießen. Ist’s nicht sein Arm, der alles schafft? (4:45 – 5:31 = 0:46)

Autor: Diese Choralstrophe ist eine Kette von Fragen und Antworten. So fordert mich der Dichter auf, mit ihm gemeinsam in das Lob Gottes einzustimmen. Er stößt mich mit der Nase darauf: Nichts, aber auch gar nichts ist selbstverständlich. Ein Beispiel: Jeder Mensch hat auch Glück in seinem Leben. Aber das heißt noch lange nicht, dass er es auch genießen kann. Wer sein Glück nicht genießt, sich darüber freut, es – ja: auskostet, der verliert es leicht. Es ist wie mit einem Festessen. Wenn ich es einfach gedankenlos und hektisch in mich hinein schlinge, dann habe ich nichts davon. Und das ist jammerschade. Genießen geht anders.

Musik 2: Choral (Str. 3): Und diesen Gott sollt ich nicht ehren und seine Güte nicht verstehen? Er sollte rufen, ich nicht hören, den Weg, den er mir zeigt, nicht geh‘n? Sein Will ist mir in’s Herz geschrieben, sein Wort bestärkt mich ewiglich. Gott soll ich über alles lieben, und meinen Nächsten gleich als mich. (6:08 – 6:55 = 0:47)

Autor: Gott lieben und meinen Nächsten, wie mich selber auch – das ist die Summe, das Fazit aller Gebote. Es ist im Grunde so einfach. Und doch erscheint es mir manchmal so schwer. Da ist es gut, dass mich der Dichter daran erinnert: Gott hat mir ja seinen Willen ins Herz geschrieben. Sein Geist hilft mir, das Richtige zu tun. Und wenn es mir nicht gelingt, so vertraue ich darauf: Gottes Güte ist größer als die Last, die mir meine Versäumnisse, meine Schuld, mein Vergessen, meine Unachtsamkeit bereiten. Musik 1: Selbstproduktion (Klavier, 7:24 – 8:00 = 0:36)

Und noch ein Gutes hat es, wenn ich Gottvertrauen auf meinem Lebensweg eingeübt habe. Solche Erfahrungen sind wie ein Schatz, ein Brunnen, aus dem ich schöpfen kann. Zum Beispiel in Zeiten, in denen es mir nicht gut geht. In denen ich Schmerz erleben muss, traurig oder unglücklich bin.

Und schließlich ist es auch mein Gottvertrauen, das ich auf meinem Lebensweg erworben habe, das mich im Tod trägt. Wenn ich erfahren habe, Gott vergisst mich nicht, sondern denkt an mich – wenn ich also weiß: Er meint es gut mit mir – dann hilft mir das auch dabei, den Schritt vom Leben zum Tod zu meistern.

Musik 2: Choral (Str. 4): O Gott, lass deine Güt’ und Liebe mir immerdar vor Augen sein! Sie stärk in mir die guten Triebe, mein ganzes Leben dir zu weih’n. Sie tröste mich zur Zeit der Schmerzen; sie leite mich zur Zeit des Glücks; und sie besieg in meinem Herzen die Furcht des letzten Augenblicks. (8:37 – 9:25 = 0:48)

Redaktion: Pfarrer i.R. Dr. Gerd Höft