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10.10.2018

Tu deinen Mund auf

Kirche in WDR3 | 10.10.2018 | 05:04 Uhr

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Kirche in WDR3 | Arends

Guten Morgen!

Diese Reise geht mir immer noch nach: Mit einer 50-köpfigen Gruppe aus Detmold und Umgebung besuchten wir in diesem Jahr Warschau. Anlass war der 75. Jahrestag der Niederschlagung des Aufstandes im Warschauer Ghetto. Das Warschauer Ghetto wurde im Zweiten Weltkrieg von den deutschen Nationalsozialisten errichtet. Sie hatten Polen besetzt und sammelten im Ghetto polnische, deutsche und andere Juden. Ab Sommer 1942 wurden die Menschen aus dem Warschauer Ghetto in die Vernichtungslager deportiert. Im April 1943 begannen sich die Juden im Ghetto gegen ihre Verschleppung zu wehren. Fast einen Monat dauerte der ungleiche Kampf gegen die Einheiten der SS. Am Ende ist das Ghetto völlig zerstört. Die Juden getötet oder deportiert.

Und der deutsche Befehlshaber der Niederschlagung, Jürgen Stroop, schreibt den schrecklichen Satz: „Das ehemalige jüdische Wohnviertel Warschau besteht nicht mehr.“ (1)

Wozu Menschen fähig sind, wenn sie erst den Respekt vor dem Leben und dem Schöpfer allen Lebens verloren haben. Millionen Jüdinnen und Juden wurden ermordet, in die Vernichtungslager geführt, jüdisches Leben in weiten Teilen Europas fast gänzlich ausgelöscht.

Eine unvorstellbare Zahl. Jede einzelne dieser Lebensgeschichten wäre es wert, erzählt zu werden. Jedes einzelne Leben geschaffen nach dem Ebenbild Gottes, wie die Bibel erzählt. Das verleiht jedem Menschenleben eine unverwechselbare Würde. Wie ist es möglich, dass andere diese Würde so mit Füßen treten, das Leben anderer einfach auslöschen?

Jürgen Stroop war ein Detmolder. Über Jahrzehnte wurde seine Geschichte in Detmold verschwiegen. Jetzt aber seit etlichen Jahren wird die Erinnerung an ihn wachgehalten. Und so wurden wir eingeladen. Gemeinsam mit Menschen aus Warschau gedachten wir der Menschen, die in dem Inferno ums Leben gekommen waren.

Es gibt immer wieder Stimmen in unserer Gesellschaft – und sie werden lauter – die sagen: Es muss doch einmal Schluss sein mit dem Erinnern. – Nein, es darf nicht Schluss sein mit dem Erinnern! Nur wenn wir uns erinnern, können wir davor bewahrt werden, dass Ähnliches wieder geschieht. Es ist schrecklich zu sehen, wie nach dieser Geschichte der Antisemitismus in unserer Gesellschaft wieder um sich greift, Jüdinnen und Juden beschimpft werden, es immer wieder Übergriffe auf sie gibt.

Fast die Hälfte der Gruppe, die mit uns in Warschau war, bestand aus jungen Leuten, Schülerinnen und Schüler. Das macht Hoffnung: Die jungen Menschen interessieren sich für ihre eigene Geschichte. Sie wollen Konsequenzen daraus ziehen für das Zusammenleben in unserer Gesellschaft heute.

„Tu deinen Mund auf … für die Sache aller, die verlassen sind“ (Sprüche 31,8), heißt es in der Bibel einmal. Deshalb versuche ich mir jeden Tag zu sagen: Halte die Erinnerung an das Unrecht wach, bleib wachsam und tritt ein für Barmherzigkeit und Menschlichkeit. Mach den Mund auf, wo es nötig ist, auch an diesem Tag.

(1)https://de.wikipedia.org/wiki/Jürgen_Stroop (letzter Abruf am 24.09.2018)