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16.01.2021

„Hilf, Herr, meines Lebens“ (eg 419, 1-5)

Choralandacht | 16.01.2021 | 00:00 Uhr

Alttext  

Musik (Orgel): Hilf, Herr meines Lebens, Komponist: Jan Janca; Interpret: Roman Perucki (Orgel); Album: The Organ of St. Brygida's Church in Gdansk, Track 7; Label: DUX; LC: 86638.

Overvoice-Sprecherin:

Hilf, Herr, meines Lebens,

dass ich nicht vergebens

dass ich nicht vergebens

hier auf Erden bin.

Autor: Als Pfarrer Gustav Lohmann 1961 diese Zeile seines schlichten und kurzen Gebetes schreibt, ist er 85 Jahre alt. Ein Jahr später schenkt der Musikwissenschaftler Hans Puls seinen Worten eine Melodie. Puls ist Dozent an der Pädagogischen Hochschule in Saarbrücken. Er begegnet dort der Frage nach dem Verhältnis der Jugend zur Kirche. Er nimmt wahr, es gibt eine Suche nach neuen Impulsen für das geistliche Leben im Nachkriegsdeutschland. Seine Antwort besteht darin, neue geistliche Lieder mit modernen Rhythmen zu schreiben. Er gestaltet Jazzgottesdienste, mit denen er das kirchliche Engagement besonders von Jugendlichen belebt. Bei den Kirchentagen 1962 in Dortmund und danach in Köln findet er großen Anklang. Und sein Lied „Hilf, Herr, meines Lebens“ entwickelt sich zu einem ökumenischen Hit, der den Weg ins Evangelische Gesangbuch findet, wie auch in das katholische Gotteslob.

Musik (Orgel): Hilf, Herr meines Lebens

Auf der Suche nach dem „Erfolgsgeheimnis“ dieses eigentlich so simplen Liedes entdecke ich, dass es an Urängste rührt, die ich aus verschiedenen Phasen meines Lebens selbst kenne. „Dass ich nicht vergebens hier auf Erden bin“ – der Satz trifft große Sinnfragen. Wozu lebe ich? Und wer interessiert sich überhaupt für mich? Ich weiß, dass ich mich das in der Pubertät oft gefragt habe. Nach Streit mit meinen Eltern, nach Konflikten mit Lehrern oder Freunden empfand ich mich oft als hässlich und unnütz. Was soll aus mir werden? In einem schmerzlichen Schlingerkurs habe ich als junger Mann so viel länger als andere gebraucht, bis ich mich für meinen Berufsweg entscheiden konnte. Wer liebt mich und mit wem möchte ich das Leben teilen? Auch das - ein Weg zwischen Versuch und Irrtum, bis hin zum Glück.

„Hilf, Herr, meines Lebens, dass ich nicht vergebens hier auf Erden bin“. Ausgerechnet während ich darüber nachdenke, welche dieser Urängste wohl den 85Jährigen Autor beschäftigt haben, als er dieses Gebet formuliert, fällt mein Blick auf eine Todesanzeige in der Zeitung. Über ihr steht ein Gedicht. Die Familie und Freunde, die Abschied nehmen, unterstreichen damit, dass der Sinn des Lebens der Verstorbenen in der Liebe lag, die von ihr ausging. Für so viel Liebe kann der Dank nicht groß genug sein. Ehrlich gesagt würde ich mich freuen, wenn andere später auch auf mich so zurückblicken könnten.

Sprecherin: Was du aus Liebe uns gegeben, dafür ist jeder Dank zu klein. Was wir an dir verloren haben, das wissen nicht nur wir allein. Die Zeit der Sorgen und des Leids, sie ist vorbei, die Liebe bleibt. (Frankfurter Rundschau vom 14./15.11.20, S. 41)

Musik (Orgel): Hilf, Herr meines Lebens

Overvoice-Sprecherin:

Hilf, Herr, meiner Tage,

dass ich nicht zur Plage,

dass ich nicht zur Plage

meinem Nächsten bin.

Autor: Niemandem zur Last fallen zu wollen, ist ein inständiger Wunsch von vielen Menschen, die alt geworden sind. Es scheint nahezuliegen, dass den 85jährigen Autor des Liedtextes die Sorge umgetrieben hat, körperlich gebrechlich oder von Demenz eingeholt zu werden. Ich selbst kenne wunderbare alte Menschen, geistig rege und körperlich fit. So alt werden zu können, davon träume ich. Aber ich kenne auch von Krankheit und Senilität gezeichnete Alte. Wenn sie dazu noch zur Bosheit neigen, wird es schwer für Angehörige und Pflegekräfte. Darum bete ich für mich und meine Familie immer mal wieder mit Worten von Theresa von Avila, einer Frau des Mittelalters. Sie richtet an Gott die Bitte:

Sprecherin: Erhalte mich so liebenswert wie möglich. Ich möchte keine Heilige sein, mit ihnen lebt es sich so schwer. Aber ein alter Griesgram ist das Krönungswerk des Teufels!

Autor: „Dass ich nicht zur Plage meinem Nächsten bin“ - vielleicht hat der Autor bei diesen Zeilen tatsächlich mit Sorge über sein eigenes und das Altwerden allgemein nachgedacht. Vielleicht aber auch über das immer noch Unerträgliche im Rückblick auf sein Leben. Zwar ist Gustav Lohmann bereits seit 1904 als Pfarrer tätig, wird aber doch im ersten Weltkrieg zum Wehrdienst eingezogen. Körperlich scheint er unversehrt aus dieser Hölle zurückgekehrt zu sein. Bei Aachen übernimmt er wieder ein Pfarramt. Aber – ein paar Jahre später schließt er sich jener wachsenden Mehrheit in Deutschland an, die sich neu nationalistisch formiert und die auf Rache für die „Schmach“ des verlorenen Krieges sinnt. 1934 wird Lohmann Mitglied der NSDAP. Dieser Schritt verwickelt ihn in kirchenpolitische Auseinandersetzungen. Im beginnenden Kirchenkampf gibt es auf der einen Seite die „Deutschen Christen“, antisemitisch und dem Führerprinzip verbunden, und auf der anderen Seite die „Bekennende Kirche“, in der sich der Widerstand gegen das Hitlerregime entwickelt. Hier steht Lohmann zunächst auf der Seite derer, die diese Welt mit Plagen aus Krieg, Tod und Zerstörung überziehen werden.

Musik (Orgel): Hilf, Herr meines Lebens

Overvoice-Sprecherin:

Hilf, Herr, meiner Seele,

dass ich dort nicht fehle

dass ich dort nicht fehle,

wo ich nötig bin.

Autor: Das Entsetzen über die Schrecken des Krieges muss Gustav Lohmann die Augen geöffnet haben. Von seiner Kirche bekommt er bis zu seinem Ruhestand 1946 den Auftrag zur Seelsorge an Evakuierten. Er wird dabei ausgezehrten und erschöpften Menschen auf ihrer Flucht begegnet sein. Aus der Liedzeile „dass ich dort nicht fehle, wo ich nötig bin“ lese ich Lohmanns Hinwendung zu den Gezeichneten, zu denen, die Leid tragen. Und spätestens da wird er vielleicht Dietrich Bonhoeffer verstanden haben, einen der Köpfe der „Bekennenden Kirche“. Der sagte, bereits 1933, angesichts des zunehmenden Antisemitismus in Deutschland:

Sprecher: Es reicht nicht, die Opfer unter dem Rad zu verbinden. Man muss dem Rad selbst in die Speichen fallen.

Autor: „Hilf, Herr, meines Lebens, dass ich nicht vergebens hier auf Erden bin“. Sechs Jahre vor seinem Tod klingt das kleine Gebet aus drei Zeilen wie ein Vermächtnis des weise gewordenen 85Jährigen Autors. Wir Menschen können scheitern, sagt es. Vielleicht, weil wir keinen Lebenssinn finden oder ihn auch wieder verlieren. Vielleicht, weil wir unerträgliche Ekelpakete und Nervensägen sind. Vielleicht, weil wir einfach nicht da sind, wenn es darauf ankommt und wir dringend gebraucht werden.

Wir können scheitern, sagt Gustav Lohmann in seinem Liedtext, der durch die Töne von Hans Puls zum Kirchenhit wird. Aber auch das Gegenteil ist möglich. Wir können Gott um Hilfe bitten. Wir können Gott bitten, uns die Augen zu öffnen für ein sinnvolles, von Liebe erfülltes und hilfreiches Leben. Ein neues Jahr bietet immer auch die Chance für einen Neuanfang. Und vielleicht hilft dieses Gebet dabei:

Musik (Orgel): Hilf, Herr meines Lebens,

Overvoice- Sprecherin:

Hilf, Herr, meines Lebens, dass ich nicht vergebens hier auf Erden bin/

Hilf, Herr meiner Tage, dass ich nicht zur Plage meinem Nächsten/

Hilf, Herr meiner Seele, dass ich dort nicht fehle, wo ich nötig bin.

Redaktion: Landespfarrer Dr. Titus Reinmuth