Kontakt | Impressum

Links zur Aggregation:

Metadaten:

27.07.2021

Kein Urlaub in Namibia

Kirche in WDR2 | 27.07.2021 | 00:00 Uhr

Alttext  

Ich bin bei der Ärztin. Natürlich mit Termin. Sitze im Wartezimmer und staune. Das ganze könnte auch ein Pferdehof sein. Auf der Bank Kissen mit Pferdeköpfen, an der Wand eine Garderobe aus Hufeisen und jede Menge Fotos von Pferden in der Landschaft. Kein Zweifel: Meine Ärztin reitet gerne. Pferde sind ihre Passion.

Gehen Sie diesen Sommer reiten, frage ich im Behandlungszimmer. Nein, sagt sie, meine Kinder mögen das nicht. Wir wollten nach Namibia. Aber seit drei Tagen ist klar, das geht nicht. Wegen Corona. Jetzt sind alle traurig. Ist ja interessant, denke ich.

Und erinnere mich an Namibia. An das wunderschöne Land, das die Deutschen den Hereros 1904 mit Gewalt abgenommen haben. Bei der berühmten Schlacht am Waterberg haben sie dreiviertel der Hereros ausgerottet – schätzungsweise 60.000 der indigenen Urbevölkerung. Bis heute haben die Deutschen keinen angemessenen Ausgleich gezahlt. Kürzlich hat Deutschland sich mit Namibia Auf die bescheidene Summe von 1.1 Milliarden für einen Entwicklungsfond geeinigt. Ob die Hereros davon profitieren, ist ungewiss. Und jetzt haben sie auch noch Corona in Namibia – schrecklich.

Die Deutschen haben die Schwarzen damals in den Norden vertrieben– der ist nämlich unfruchtbar. Ich denke an den Caprivi Streifen. Wo die Menschen in Strohhütten leben, kein Arzt weit und breit. Aber an jeder Ecke eine Kirche. Wo die Menschen sonntags laut und fröhlich singen. Wo man unwillkürlich hin will, weil Gott da ist. Wo er bei der Schlacht am Waterberg war, wo 60.000 starben – keine Ahnung. Die Menschen hier sind Gott gegenüber wenig nachtragend.

Dann fahren Sie doch nach Amerika, sage ich. Dabei weiß ich eigentlich, dass auch das im Moment nicht geht. Ach, da waren wir schon so oft, sagt sie gelangweilt und jagt mir eine Spritze ins Fleisch.

Irgendwann müssen wir da mal ran – mit dem Messer, sagt sie noch. Ich schäme mich.

Erst töten wir die Ureinwohner in Namibia zu Zehntausenden und jetzt ärgern wir uns, dass wir dort keinen Urlaub machen können. Auf einer tollen Farm – auf dem Stück Land, was man den Schwarzen weggenommen hat. Bei den Panthern und den Giraffen, den Affen und den Nashörnern. Ich kann nur sagen: Nicht alle in Deutschland haben den Kolonialismus überwunden. Sind immer noch in Kolonialmanier unterwegs, statt Geld für Impfstoff zu sammeln. Für Namibia. Ehemals Deutsch-Südwestafrika. Das könnte der Versuch einer Wiedergutmachung sein. Für das, was sich nicht wieder gut machen lässt.

Redaktion: Pastorin Sabine Steinwender-Schnitzius

https://www.kirche-im-wdr.de/uploads/tx_krrprogram/55758_WDR220210727Steinwender.mp3