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10.04.2020

..nur der leidende Gott kann helfen.» (Dietrich Bonhoeffer)

Das geistliche Wort | 10.04.2020 | 00:00 Uhr

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Autor: Gott segne Sie, liebe Hörerin, lieber Hörer.

Alles ist in diesen Wochen anders als in den Jahren, die wir bisher erlebt haben. Unser Alltag wird vom sogenannten Coronavirus bestimmt. Weltweit sind Menschen davon betroffen; Und jetzt müssen wir vor allem eines tun: Wir müssen uns gegenseitig vor einer Ansteckung schützen. Denn eine Ansteckung könnte den Tod für viele bedeuten. Wir müssen einander aus dem Weg gehen. Das tut vielen weh. Mir auch. Gerade im Blick auf das Osterfest fehlt der Kontakt zu Freunden und Familie. Die Begegnung mit Kindern und Enkelkindern. Meiner Frau und mir fehlen vor allem die Gottesdienstbesuche. Die Gemeinschaft im Gebet ist so wichtig für unseren Glauben. Ich denke, viele von Ihnen werden ähnlich empfinden.

Mir helfen gerade jetzt die Gedanken eines Mannes, dem so viel mehr als mir weggenommen wurde. Ich spreche von Dietrich Bonhoeffer. Ihm wurde das ganze Leben weggenommen. Er wurde eingesperrt, von seinen Lieben getrennt und dann ermordet. Das ist jetzt 75 Jahre her. Trotzdem steckt in seinen Briefen und Gedichten, ja, in all seinen Worten so viel Hoffnung und Zuversicht, dass ich das heute auch sein kann: hoffnungsvoll und zuversichtlich. Dietrich Bonhoeffers Worte begleiten mich durch diese Tage.

Musik 1: Live-Aufnahme 2016 bei einem Konzert in der KulturKirche Nikodemus, Berlin; „Tu pauperum refugium“; Musik: Josquin des Pres (1450/55-1521), bearbeitet von Anklam & Jaekel; Interpreten: Volker Jaekel – Orgel, Gert Anklam – Sopransaxophon; Gema-Werknummer 21986482-002

Autor: „Frohe Ostern“ – so rufen einander die Aufseher am Ostersonntag 1943 durch die Flure des Gefängnisses in Berlin-Tegel zu. Wie haben die Gefangenen in den Zellen diesen Ostergruß wohl gehört? Sie können an diesem Ostern nicht mit Familien und Freunden zusammenkommen. Vielleicht nie wieder.

Seit drei Wochen ist Pastor Dietrich Bonhoeffer in Berlin-Tegel inhaftiert. Seinen Eltern schreibt er am Ostersonntag von den Ostergrüßen, die durch das Gefängnis schallen. Sie sollen wissen, dass er, auch wenn er im Gefängnis sitzt, doch das Gefühl eines frohen Osterfestes im Herzen hat. Es sei, so schreibt er, „das Befreiende von Karfreitag und Ostern, dass die Gedanken weit über das persönliche Geschick hinaus gerissen werden zum letzten Sinn allen Lebens, Leidens und Geschehens überhaupt.“ Diese Tage bedeuten ihm viel. Sie geben ihm Hoffnung. (1)

Diese Hoffnung begleitet ihn über die zwei Jahre seiner Haft bis zu seiner Ermordung. Er hat immer damit gerechnet, dass ihm wegen seiner Beteiligung am Widerstand gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft der Prozess gemacht und er zum Tod verurteilt würde. Am Morgen des 09. April 1945 ist es soweit. In der Nacht zuvor wurde im Konzentrationslager Flossenbürg sein Todesurteil gesprochen. Noch am Morgen wird es vollstreckt. Gestern vor 75 Jahren ist das geschehen.

Ich erinnere mich heute am Karfreitag an Dietrich Bonhoeffer, weil er in diesem Tag, diesem düsteren Tag, zusammen mit den lichten Ostertagen wirklich tiefen Sinn sah. Den letzten Sinn von allem. Eine merkwürdige Formulierung. Was Dietrich Bonhoeffer damit meint, wird kurz vor seinem Prozess klar. Bonhoeffer sagt: „Dies ist das Ende, für mich der Beginn des Lebens.“ Der letzte Sinn. Der tiefere Sinn von allem: Erlösung. Bei Gott sein. Endlich richtig leben.

Musik 2: Live-Aufnahme 2016 bei einem Konzert in der KulturKirche Nikodemus, Berlin; „Tu pauperum refugium“; Musik: Josquin des Pres (1450/55-1521), bearbeitet von Anklam & Jaekel; Interpreten: Volker Jaekel – Orgel, Gert Anklam – Sopransaxophon; Gema-Werknummer 21986482-002

Autor: Ich lese oft in Dietrich Bonhoeffers Briefen aus der Haft in dem Buch „Widerstand und Ergebung“. In diesen schwierigen Tagen jetzt merke ich, dass ich es besonders gerne zur Hand nehme. Ich spüre die Kraft der Gedanken, die Bonhoeffer niedergeschrieben hat. Sie berühren mich, machen mir Mut, denn seine Entbehrungen und Sorgen hat er im Vertrauen auf Gott tragen können.

Er schreibt darüber, wie sehr er seine Eltern, seine Geschwister, seine Braut und seine Freunde vermisst. Er freut sich über ihre kurzen Besuche und wenn sie auf seine Briefe antworten. Er spürt ihre Nähe, wenn sie auf seine Gedanken über den Glauben antworten. Und er konfrontiert sie. Er hat genaue Vorstellungen davon, was Christen für und in einer besseren Zukunft zu tun haben.

Jetzt im Gefängnis will Bonhoeffer seine Sorgen und Ängste nicht in den Mittelpunkt stellen. Er denkt vor allem darüber nach, wo Gott in all dem Leid, dass über die Menschen hereingebrochen ist, zu finden ist. Und er fragt: Wie kann ich heute noch glaubhaft von einem Gott sprechen, der bei den Menschen ist und ihnen beisteht?

In einem seiner Gedichte spüre ich, für sich hat Dietrich Bonhoeffer eine Antwort gefunden:

Sprecher: „Menschen gehen zu Gott in ihrer Not, flehen um Hilfe, bitten um Glück und Brot, um Errettung aus Krankheit, Schuld und Tod. So tun sie alle, alle, Christen und Heiden.“

Musik 3: Live-Aufnahme 2016 bei einem Konzert in der KulturKirche Nikodemus, Berlin; „Tu pauperum refugium“; Musik: Josquin des Pres (1450/55-1521), bearbeitet von Anklam & Jaekel; Interpreten: Volker Jaekel – Orgel, Gert Anklam – Sopransaxophon; Gema-Werknummer 21986482-002

Autor: „Christen und Heiden“, Dietrich Bonhoeffer schreibt dieses Gedicht 1944. Und ich erkenne mich selbst darin wieder.

Ich wünsche mir Glück im Leben und bin dankbar für genügend Nahrung und wenn ich mich gesund fühle. Ich bitte Gott um ein behütetes Leben und möchte nicht schuldig werden an anderen. Darin unterscheide ich mich als Christ nicht von anderen Menschen, die Bonhoeffer in seinem Gedicht 'Heiden' nennt. Beide – Christen und Heiden – kommen ganz gut mit ihrer Lebenserfahrung und ihren Fähigkeiten zurecht, sie leben und entscheiden, als ob es Gott nicht gäbe. Doch wenn sie in Not geraten, dann gleicht ihr Ruf nach Hilfe einem Gebet zu Gott. Und sie hoffen beide, dass da ein allmächtiger Gott ist.

Für Bonhoeffer wird Gott so zum Lückenbüßer für eigene Versäumnisse. Am Ende sind wir selbst verantwortlich für unsere Taten. Bonhoeffer sieht gerade darin die Pflicht der Christen. Darin verantwortlich zu handeln. In einer Welt, die immer weniger nach Gott fragt, sind es die „aufrichtigen Gebete und verantwortlichen Taten“, die Gottes Güte bezeugen, schreibt Bonhoeffer in seinem berühmten Glaubensbekenntnis.

Mich als Christen sieht Dietrich Bonhoeffer einem ganz bestimmten Platz:

Sprecher: „Menschen gehen zu Gott in Seiner Not, finden ihn arm, geschmäht, ohne Obdach und Brot, sehn ihn verschlungen von Sünde, Schwachheit und Tod, Christen stehen bei Gott in Seinen Leiden.“

Autor: Ich sehe die Männer, Frauen und Kinder in den Flüchtlingslagern in der Türkei und auf den griechischen Inseln ein. Von Hunger und Krankheit gezeichnet, nach ihrer Flucht vor Krieg und Terror sind sie jetzt zum Spielball und zur Verhandlungsmasse im Schachern der politischen Interessen geworden. Sie sind verachtet, verspottet und geschändet. So erleben sie unsere Welt. Ich sehe in ihrer Mitte Gott, der mit ihnen leidet und uns fragt: Wo steht ihr Christen? Steht ihr bei mir in meinem Leiden, dass ich um dieser Menschen willen trage?

Dietrich Bonhoeffer hatte in diesem Gedicht die Grausamkeiten des Dritten Reiches vor Augen, vor allem die Verfolgung und Ermordung der jüdischen Mitmenschen. Die Vernichtungslager des dritten Reiches und der furchtbare Weltkrieg sind der immer noch unübertroffene Tiefpunkt der Unmenschlichkeit.

Musik 4: Live-Aufnahme 2016 bei einem Konzert in der KulturKirche Nikodemus, Berlin; „Tu pauperum refugium“; Musik: Josquin des Pres (1450/55-1521), bearbeitet von Anklam & Jaekel; Interpreten: Volker Jaekel – Orgel, Gert Anklam – Sopransaxophon; Gema-Werknummer 21986482-002

Autor: „Wie können wir in der modernen Welt noch von Gott reden? Wo finden wir ihn?“ fragt Dietrich Bonhoeffer. In seinem Gedicht sagt er: „Menschen gehen zu Gott in Seiner Not“: Gott leidet, als Jesus gekreuzigt wird, er leidet in den KZ's, in den Gefängnissen, in den von Bomben zerstörten Städten, er leidet in den Flüchtlingslagern an der Grenze zu Syrien und auf den griechischen Inseln. „Menschen seh'n Gott verschlungen von Sünde, Schwachheit und Tod.“ Gott leidet an dem, was Menschen einander antun. Sie tun es ihm an. Aber können wir, die wir so leben, als gäbe es keinen Gott, in dem Leiden von Menschen den leidenden Gott erkennen? „Christen stehen bei Gott in Seinem Leiden!“ Daran werden sie erkannt. Das Kreuz, an dem Gott selbst leidet, ist ihr Kennzeichen. Seinem Freund Eberhard Bethge schreibt Dietrich Bonhoeffer aus dem Gefängnis:

Musik 5: Live-Aufnahme 2016 bei einem Konzert in der KulturKirche Nikodemus, Berlin; „Tu pauperum refugium“; Musik: Josquin des Pres (1450/55-1521), bearbeitet von Anklam & Jaekel; Interpreten: Volker Jaekel – Orgel, Gert Anklam – Sopransaxophon; Gema-Werknummer 21986482-002

Sprecher:

„Gott lässt sich aus der Welt herausdrängen ans Kreuz, Gott ist ohnmächtig und schwach in der Welt und gerade und nur so ist er bei uns. ... Christus hilft nicht kraft seiner Allmacht, sondern kraft seiner Schwachheit, seines Leidens! … Die Bibel weist den Menschen an die Ohnmacht und das Leiden Gottes; nur der leidende Gott kann helfen.“ (3)

Autor: „...nur der leidende Gott kann helfen.“ Am Karfreitag erinnere ich mich: Gott wurde nicht nur zu einer Randfigur gemacht, sondern erledigt, Gott starb und wurde begraben. Soll ich das glauben? „Gott ist ohnmächtig und schwach in der Welt und gerade und nur so ist er bei uns.“ Ich empfinde das als Widerspruch. Ich kann ihn mit Logik nicht auflösen. Die Lösung liegt in Gott selbst, der den Weg in Sein Leiden und Sterben gewählt hat. Gott teilt in seiner Güte mit uns unseren Weg ins Leiden und in den Tod. Mir fällt auf, wie zurückhaltend Dietrich Bonhoeffer im Gefängnis von Gottes Liebe schreibt. Aber er beschreibt sie in der dritten Strophe seines Gedichtes:

Sprecher:

„Gott geht zu allen Menschen in ihrer Not, sättigt den Leib und die Seele mit Seinem Brot, stirbt für Christen und Heiden den Kreuzestod, und vergibt ihnen beiden.“

Autor: Am Beginn seiner Haft erlebt Dietrich Bonhoeffer Karfreitag und Ostern als die Tage, die ihm den letzten Sinn alles Lebens, Leidens und Geschehens überhaupt zeigen. Von der Auferstehung Christi, erwartet Bonhoeffer, wie er in einem Brief zu Ostern 1944 schreibt, dass „ein neuer reinigender Wind in die gegenwärtige Welt wehen... kann. Wenn ein paar Menschen dies wirklich glaubten und sich in ihrem irdischen Handeln davon bewegen ließen, würde vieles anders werden.“ (4)

Das wären dann wohl die Christen, die Bonhoeffer in der zweiten Strophe meint: „Christen stehen bei Gott in seinem Leiden.“ Ihr Platz – unser Platz - ist mitten in der Welt, gerade bei denen, die Hilfe brauchen. Wir stehen ganz nahe bei den gestrandeten Männern, Frauen und Kindern in den Flüchtlingslagern. Wir flehen mit den Elenden um Hilfe und helfen ihnen, so wie Gott es von ihnen erwartet ohne Ansehen der Person oder der Religion. Wir lassen uns gerade in den Zeiten des Corona-Virus anrühren durch die Einsamkeit der Alten und Kranken und solidarisieren uns mit den erschöpften Ärztinnen und Ärzten und dem übermüdeten Pflegepersonal

Ich staune auch darüber, wie es gelingt in der Ausnahmesituation der Corona-Pandemie einander fern- und dennoch im Herzen beieinander zu bleiben. Im Gebet füreinander schließen wir uns zusammen. Ob wir uns auch über diese Zeit hinaus die Achtsamkeit für das Wohlergehen aller erhalten können?

Musik 6: Live-Aufnahme 2016 bei einem Konzert in der KulturKirche Nikodemus, Berlin; „Tu pauperum refugium“; Musik: Josquin des Pres (1450/55-1521), bearbeitet von Anklam & Jaekel; Interpreten: Volker Jaekel – Orgel, Gert Anklam – Sopransaxophon; Gema-Werknummer 21986482-002

Autor: Die letzten Worte Bonhoeffers heißen: „Das ist das Ende, für mich der Beginn des Lebens,“ Und sie haben noch eine Fortsetzung: „Ich glaube an das Prinzip unserer universellen christlichen Brüderlichkeit, die über alle nationalen Interessen hinausgeht, und dass unser Sieg sicher ist.“ (5)

Die Hoffnung auf Gottes Hilfe gilt allen Menschen, doch ich bin überzeugt, der Glaube an den gekreuzigten und auferstandenen Jesus gibt uns auch ganz persönlich in dieser sorgenvollen Zeit liebende Kräfte für einander und besonnene Geduld für uns selbst.

Musik 7: Live-Aufnahme 2016 bei einem Konzert in der KulturKirche Nikodemus, Berlin; „Tu pauperum refugium“; Musik: Josquin des Pres (1450/55-1521), bearbeitet von Anklam & Jaekel; Interpreten: Volker Jaekel – Orgel, Gert Anklam – Sopransaxophon; Gema-Werknummer 21986482-002.

Ich wünsche Ihnen gerade an diesen Feiertagen das Vertrauen, dass Gott Ihnen nahe ist, dass er Sie liebt und Ihre Not kennt und hilft.

Ihr Rüdiger Schnurr aus Siegen.

Anmerkungen:

(1) vgl.: Dietrich Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, Brief vom 25.4.1943), Chr. Kaiser-Verlag München 1970, S.35f.

(2) a.a.O. S.382.

(3) a.a.O. S.394.

(4) a.a.O. S.270.

(5) zitiert nach: DBW 16, S.468; Eberhard Bethge: Dietrich Bonhoeffer. Eine Biographie. München 1978, S.1037, Fußnote 54; zu Wortlaut und Übersetzung Sabine Dramm: Dietrich Bonhoeffer: Eine Einführung in sein Denken. Gütersloh 2001, S.264.

Redaktion:

Pfarrerin Julia-Rebecca Riedel