11.07.2019

„Abendmahl, gehört das zu beiden?“

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Der konfessionell-kooperative Religionsunterricht  ist vor einem Jahr als Modellprojekt in Nordrhein-Westfalen gestartet: evangelische und katholische Schülerinnen und Schüler werden gemeinsam unterrichtet. Autorin Bettina von Clausewitz hat den Unterricht in einem Gymnasium in Mülheim an der Ruhr besucht.
Artikelbild Reli-Unterricht in der sechsten Klasse des Städtischen Gymnasiums Broich.

So müssen die Initiatoren in den evangelischen Landeskirchen und den katholischen Bistümern sich den konfessionell-kooperativen Religionsunterricht – kurz KoKoRu – vorgestellt haben: miteinander zu lernen und nicht nur übereinander, eine eigene konfessionelle Identität zu entwickeln und dialogfähig im Glauben zu werden.

Während draußen die Sommerhitze auf dem Schulhof lastet, sitzen knapp 30 Sechstklässler des Mülheimer Gymnasiums Broich, einer von bisher 184 beteiligten Schulen, hoch konzentriert in mehreren kleinen Tischgruppen zusammen. Sie sind vertieft  in ihre Arbeitsblätter und erklären sich gegenseitig, was das heißt, evangelisch zu sein oder katholisch. Die vier Jungs zum Beispiel, die das Arbeitsblatt  „Sakramente“ studieren.

„Ich will was mitbekommen über Religion“

„Sakramente sind heilig“, aha, aber warum haben die Katholiken sieben und die Evangelischen nur zwei? Die sich heranbildenden „Experten“ der Gruppe werden später den anderen in der Klasse die Antwort weiter unten im Text erläutern. Vorher noch eben rausfinden, was Firmung ist. Die steht da als Sakrament neben der Taufe. Keine Ahnung? Einer läuft nach vorn zum Pult und blättert im Lexikon. Hier wissen sie sich selbst zu helfen.

Während des Wartens am Tisch wirft der zwölfjährige Elias ebenso knapp wie selbstbewusst ein: „Ich bin überhaupt nicht getauft. Aber ich will trotzdem was mitbekommen über Religion.“

Fachlehrerwechsel nach einem Jahr

Für Lehrer Niels Hayn, evangelisch, endet jetzt die erste Etappe eines bisher erfolgreichen, auf drei Jahre angelegten Pilotprojekts: „Konzeptionell funktioniert das sehr gut“, so sein Fazit nach dem ersten Jahr offizieller Laufzeit. Nach den Sommerferien übernimmt eine katholische Kollegin die Klasse, denn das ist laut NRW-Bildungsministerium vorgeschrieben: Fachlehrerwechsel nach einem Jahr, um beide konfessionellen Perspektiven zu gewährleisten. Vielfach seien die Unterschiede jedoch kaum wahrnehmbar, so Hayn. „Nur bei bestimmten Themen wie etwa Kirchengeschichte oder der Feier des Glaubens im Gottesdienst.“

Genau dieser Lehrerwechsel ist es, der andere Schulen von der Teilnahme abhält. „Das Konzept ist theologisch zwar richtig, aber für uns ist es nicht passend,“ meint Pfarrer Roland Greve von der Gesamtschule Holsterhausen in Essen, wo er Religionslehrer ist. „Als Lehrer weißt du erst nach einem Jahr etwa, wie die Kinder ticken, dann hast du Vertrauen aufgebaut und kannst sie begleiten“, meint er. Im Religionsunterricht werde auch über Tabuthemen gesprochen, über den eigenen Glauben, Gottesbilder und die Familie etwa. „So ein Vertrauensverhältnis wächst erst über die Jahre,“ meint Greve.

Es fehlt noch passendes Unterrichtsmaterial

Artikelbild Das Arbeitsmaterial wurde vom Lehrer selbst zusammengestellt.

Aber zurück nach Mülheim. Für Nils Hayn geht das KoKoRu-Konzept auf, was dem 28-jährigen Pädagogen jedoch noch fehlt, sind passende Lehrbücher. „Das meiste Unterrichtsmaterial muss man sich selbst zusammenstellen“, sagt er. Für den aktuellen Unterricht etwa hat er sechs Arbeitsblätter entworfen, in denen es neben theologischen Themen wie Eucharistie und Abendmahl oder Kommunion und Konfirmation auch um kirchliche Strukturen oder Heiligenverehrung geht.

Nachdem alle Gruppen sich ausgetauscht haben, werden die Stichworte wie Blätter an einen symbolischen Baum geheftet. Die Bibel oder die Zehn Gebote, die sind unten als gemeinsame Wurzeln, keine Frage. „Abendmahl, das gehört doch auch zu beiden, oder?“,meint ein Mädchen, das auf den Tisch geklettert ist, um besser sehen zu können - auch auf die Spaltung des Baumes. Rechts geht der Ast hoch mit den Evangelischen: Reformation, Konfirmation, Luther wird noch neu dazugeschrieben. Dann weiter bei den Katholiken: Marienverehrung, der Papst, ganz klar, aber was war noch mal Zölibat?

„Jetzt geht es um Gemeinsamkeiten“

Konfessionell-kooperativer Unterricht, das läuft wie am Schnürchen in dieser Doppelstunde mit hoch motivierten Sechstklässlern am Gymnasium Broich. Rund 900 Schülerinnen und Schüler insgesamt, gut ein Drittel evangelisch, ein knappes Drittel katholisch. Und ein weiteres ist ohne Bekenntnis oder unter „andere“ registriert; ihre Teilnahme am KoKoRu ist rechtlich auf Antrag möglich.

Nur wenige haben Migrationshintergrund in diesem gut situierten Stadtteil. Hier reden schon Zwölfjährige über die Konstantinische Wende und sagen Sätze wie „Wir sind ja primär erstmal alle eine Religion“ oder „Von anderen auch mal was zu hören, find‘ ich gut“. - „Ein enorm hohes Niveau“, meint die Mülheimer Schulreferentin Sabine Dehnelt, die das neue Konzept angesichts sinkender Mitgliederzahlen in beiden Kirchen für zeitgemäß hält. „Wir haben jahrhundertelang das Trennende betont, jetzt geht es um Gemeinsamkeiten.“

„Gemeinsamkeiten stärken - Unterschieden gerecht werden“, das ist auch das Anliegen der drei beteiligten Landeskirchen Rheinland, Westfalen und Lippe sowie der vier Bistümer Aachen, Essen, Münster und Paderborn, die den konfessionell-kooperativen Religionsunterricht initiiert haben und für die Lehrerfortbildungen  verantwortlich sind.  Es gehe darum „den christlichen Religionsunterricht in der pluralistischen Schullandschaft zu stärken“, meint NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer gegenüber ekir.de.

Zu  wenige Kinder für eigene konfessionelle Klassen

Artikelbild Durch das neue Konzept sollen vor allem Gemeinsamkeiten gestärkt werden.

Neben dem schulpolitischen Hintergrund des Modellprojekts spielt auch die sinkende Zahl christlicher Kinder an vielen Schulen eine Rolle, die in Zukunft immer häufiger keine eigenen konfessionellen Klassen mehr bilden werden. Wie viele Schulen sich zum Schuljahr 2019/2020 für KoKoRu neu angemeldet haben, konnte das Ministerium noch nicht sagen.

Unterdessen haben sich die Sechstklässler am Gymnasium Broich lebhaft an der Schlussrunde und einem kurzen Gespräch nach dem Unterricht beteiligt. „Das ist interessanter so, wenn Katholiken mir das selbst erklären“, findet Anna. Und Emilie ist aufgefallen, dass Katholiken „ganz andere Sichtweisen haben und viel häufiger zur Kirche gehen“. Lennart dagegen findet, dass man jetzt auch mal wieder für sich bleiben könnte, „um die Feinheiten der eigenen Religion“ besser kennenzulernen. „Dann kann man ja sich ja später wieder treffen, um es den anderen zu erklären, das war schon ganz gut.“

 

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