Dank für Innovation und Tradition

Die Bedürfnisse der Hilfesuchenden und auch die Zahlen, das "große Ganze", hatte Hartwig Kistner stets im Blick. Nach 42 Berufsjahren bei der Diakonie ist der Geschäftführer des Mülheimer Diakonischen Werkes in den verdienten Ruhestand eingetreten.  

Die Zahlen, die Finanzen, das große Ganze – als Geschäftsführer muss man es im Blick behalten und gezielt steuern, selbstverständlich. Doch hat Hartwig Kistner, der über 20 Jahre lang das Diakonische Werk im Evangelischen Kirchenkreis An der Ruhr geführt hat, bei all dem nie diejenigen aus den Augen verloren, um die es geht: die Hilfesuchenden, die – wie er selbst sagt – „uns anvertrauten und sich uns anvertrauenden Menschen“. Nun geht Hartwig Kistner mit 65 Lebensjahren, verheiratet, zwei erwachsene Söhne, nach 42 Berufsjahren im Dienst der Mülheimer Diakonie in den Ruhestand und übergibt seiner Nachfolgerin, Birgit Hirsch-Palepu, ein gut für die Zukunft aufgestelltes Werk.

Vom Beruf, der Berufung ist, spricht man in solchen Momenten gerne. Für Hartwig Kistner waren die Arbeit als Sozialarbeiter und der diakonische Gedanke in jedem Fall eine Angelegenheit mit hoher persönlicher Identifikation. Und mehr: Diakonie ist für ihn Dienst am Menschen mit Hand, Herz, Glauben und Verstand.

Die Arbeit mit den eigenen Händen hat Kistner von klein auf gelernt. Zunächst auf dem eigenen Bauernhof der Familie in Rheinland-Pfalz; später waren die Eltern angestellt in landwirtschaftlichen Großbetrieben, zunächst in Kleve, dann in Trier, schließlich im großen landwirtschaftlichen Betriebsbereich der Diakonie Bad Kreuznach – und der Sohn arbeitete stets mit. Diese Zeit beeinflusste ihn nachhaltig, waren die meisten der dort beschäftigten Hilfskräfte doch wohnungslose – teils auch geistig oder körperlich behinderte – Menschen, die bei der Diakonie vorübergehend eine Herberge fanden. „Man kann durchaus sagen, dass ich in meiner Jugend einen nicht geringen Teil meiner Zeit mit Nichtsesshaften und Behinderten beim Arbeiten verbracht habe“, resümiert Kistner. „Diese persönliche Nähe zu Menschen in Notlagen – im direkten menschlichen, gleichwertigen Kontakt, Seite an Seite – hat mich in meiner gesamten Lebenseinstellung und später beruflich mehr geprägt als alles andere.“

Mit 16 Jahren verließ Kistner 1971 sein Elternhaus Richtung Mülheim an der Ruhr, wo er eine Ausbildung für Soziale Arbeit absolvierte. Es folgten ein Studium der Sozialarbeit an der Fachhochschule Düsseldorf mit der Graduierung und zugleich eine vierjährige Ausbildung zum Evangelischen Diakon bei der Theodor Fliedner Stiftung (damaliger Name: Diakonenanstalt Duisburg). Von 1977 bis 1978 arbeitete Kistner als Sozialarbeiter bei der Stadt Mülheim an der Ruhr. 1980 segnete ihn der damalige Präses Karl Immer im Altenberger Dom als Diakon für den kirchlichen Dienst ein. Zu der Zeit war er bereits beim Diakonischen Werk beschäftigt. Neben dieser Arbeit absolvierte er in den Achtzigerjahren ein Zweitstudium an der Universität Duisburg im Fachbereich Sozialwissenschaft und erlernte den Umgang mit Zahlen als Grundlage eines methodischen und systematischen Arbeitens. Anschließend folgten zwei jeweils dreijährige berufliche Fortbildungen: die tiefenpsychologisch orientierte Zusatzausbildung Analytische Psychologie bei der C. G. Jung-Gesellschaft in Köln sowie die betriebswirtschaftliche Zusatzausbildung speziell für Betriebe der Sozialwirtschaft bei Prof. Dr. Uwe Kaspers.

1978 begann Hartwig Kistner beim Diakonischen Werk im Evangelischen Kirchenkreis An der Ruhr seinen Dienst. Dort lernte er, wie er selber sagt, den Beruf des Sozialarbeiters ganz grundlegend, war Soziale Arbeit als Profession innovativ und die Grenzen zwischen den Arbeitsbereichen waren fließend. Die Dienststelle auf dem Kirchenhügel war – und ist es bis heute – Anlaufstelle für Menschen in den unterschiedlichsten Notlagen – Kinder, Jugendliche, Familien, Nichtsesshafte, Alkoholkranke, Suchtkranke, psychisch Kranke –, die alle gleichermaßen beraten und betreut wurden (und werden).

Hartwig Kistners Schwerpunkt in den ersten Jahren war die Jugendgerichtshilfe, wo er beim Aufbau der damals noch völlig neuen Sozialen Gruppenarbeit mit straffällig gewordenen Jugendlichen als Sonder-Projekt in der Stadt Mülheim mitwirkte. „Der Kontakt zu einigen der damals betreuten Menschen besteht bis heute“, berichtet Kistner. Dies ist ein Zeichen des stets nahbaren und lebenspraktischen Umgangs, den er pflegt.

1988 trat Hartwig Kistner in die fünfköpfige Geschäftsleitung des Diakonischen Werkes ein, zunächst als stellvertretender Geschäftsführer. Ab 1991 war er zusätzlich Leitender Sozialarbeiter für die Sozial-Fachbereiche und ab 1999 Geschäftsführer der Mülheimer Diakonie.

Zahlen und Hilfeleistungen für Menschen in Not sind für ihn kein unvereinbarer Gegensatz – im Gegenteil. Ziel sei vielmehr, Finanzen gezielt zu organisieren, um sich kompetent in die Lage zu bringen, immer gemäß der gebotenen Fachlichkeit zum Wohl der Klient(inn)en zu handeln. Denn um eben sie geht es: „Der Gradmesser des Einsatzes mit aller vorhandenen fachlichen Expertise muss sein, das Leid von Menschen in Not zu lindern. Die Mitarbeitenden, die Fachkräfte, sind dabei entscheidend. Nur durch sie – gemeinsam mit ihren Klient(inn)en – entfalten die Leistungen der Sozialen Arbeit ihre Wirksamkeit.“

32 Jahre lang war Hartwig Kistner Mitglied der Geschäftsleitung der Mülheimer Diakonie und über 21 Jahre Geschäftsführer. Das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche in Mülheim ist unter seiner Leitung stark gewachsen. Inzwischen besteht der Wohlfahrtsverband aus sieben Abteilungen sowie dem Evangelischen Betreuungsverein e.V., beschäftigt rund 250 Mitarbeitende und erreicht mit ihren Angeboten jährlich über 12.000 Menschen.

Die Arbeit, das Engagement der Diakonie zum Wohl anderer ist für Hartwig Kistner Leitgedanke. „Die persönliche Glaubensüberzeugung, die Orientierung an der Botschaft von Jesus Christus und die dort beschriebene Aufgabe der Diakonie stehen im Zentrum der diakonischen Arbeit – das gilt für mich ebenso wie für alle Mitarbeitenden“, betont er und nennt dieses Zentrum „Kraft- wie auch Inspirationsquelle“, die ihn während seiner gesamten beruflichen Laufbahn begleitet und geleitet hat. Mit Fachkenntnis, Mut und Zuversicht konnten so mit und von allen Mitarbeitenden Arbeitsgebiete weiterentwickelt und neu aufgebaut werden.

Eben diese Offenheit, neue Arbeitsgebiete kreativ, innovativ und gleichzeitig hoch systematisiert zu entwickeln, hebt Superintendent Pfarrer Gerald Hillebrand hervor. Der langjährige Diakoniebeauftragte, der Mitglied der Geschäftsleitung des Diakonischen Werkes ist, betont aber auch: „Trotz dieser Offenheit für Innovation empfand ich es als sehr beeindruckend, dass Herr Kistner immer großen Wert daraufgelegt hat, dass Diakonie ein Teil von Kirche ist und auch bleibt.“

Die Verbindung von Tradition und Progression hebt auch Dorothee Hartnacke als Vorsitzende des Kuratoriums des Diakonischen Werkes hervor und sieht den Wohlfahrtsverband gut auf die Zukunft vorbereitet: „Herr Kistner hat die Geschicke der Mülheimer Diakonie stets sehr sach- und fachkundig geleitet. Er hat sich nie davor gescheut, seinen großen Horizont noch zu erweitern. Diese Fortschrittlichkeit wird uns bei der Bewältigung zukünftiger Aufgaben begleiten.“ Dem schließt sich Gordon Dietrich, stellvertretender Kuratoriumsvorsitzender, an und dankt Hartwig Kistner „für seinen jahrzehntelangen, stets vorausschauenden und unermüdlichen Einsatz für das Diakonische Werk, dessen Mitarbeitende und – natürlich – vor allem anderen: für die betreuten Menschen.“

Hartwig Kistner selbst dankt allen Partnern aus Evangelischer Kirche, Verwaltung, Politik und Bürgerschaft sowie von anderen Wohlfahrtsverbänden in Mülheim an der Ruhr. Sein größter Dank geht, wie er selbst sagt, an alle Mitarbeitenden, womit er ausdrücklich haupt- und ehrenamtliche meint. „Ich wünsche meiner Nachfolgerin Frau Hirsch-Palepu, die in der geschäftsführenden Arbeit des Diakonischen Werkes viel Erfahrung hat, weiterhin gutes Gelingen, viel Erfolg und Gottes Segen. Auch wenn ich nicht in Mülheim geboren bin, so ist das Ruhrgebiet mit seinen wunderbaren Menschen meine Heimat geworden. Und Landwirtschaft, Bergbau, sozialdiakonische Arbeit und innovative Weiterentwicklung haben vieles gemeinsam. Deshalb verabschiede ich mich – und hoffe, es ist mir erlaubt – mit einem herzlichen Glückauf!“

Bedingt durch die aktuellen Einschränkungen in Zeiten der Corona-Pandemie kann Hartwig Kistner derzeit leider nicht im Rahmen eines Gottesdienstes angemessen aus seinem Amt als Geschäftsführer verabschiedet und von seinem Dienst als Diakon entbunden werden. Dies wird zu gegebener Zeit nachgeholt.

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