Von der Kraft der Visionen

Mit 1200 Sängerinnen und Sängern hat das Chormusical „Martin Luther King – Ein Traum verändert die Welt“ in der ausverkauften Essener Grugahalle am Wochenende Premiere gefeiert. Erzählt wird ein Leben für konsequentes Christentum und für die Kraft von Visionen.

Dass die Kreditkarte eines amerikanischen Anbieters die Mauer nach Ostberlin öffnet, mögen manche Zuschauerinnen und Zuschauer der Uraufführung für einen humorvollen Einfall des Librettisten Andreas Malessa gehalten haben, aber die Geschichte stimmt: Martin Luther King, der berühmte amerikanische Pastor und Bürgerrechtler, hat am 13. September 1964 die Grenze zwischen West- und Ostberlin mit seiner „American Express“-Karte überquert. Der DDR-Grenzbeamte winkte ihn durch. Seinen Pass hatte King am Morgen in seiner Botschaft abgeben müssen, der unfügsame Pastor sollte an seinem Besuch gehindert werden.

Nicht nur an dieser Stelle klatschten die mehr als 4500 Besucherinnen und Besucher in der Essener Gruga begeistert Beifall. Andreas Malessa erzählt die spannungsreiche Lebensgeschichte Martin Luther Kings mit einem Gespür für die richtige Mischung aus Humor und Selbstzweifel, die einem Mann angemessen ist, der seinen Glauben konsequent lebte und dabei trotz manchen Misserfolgs an seiner Vision festhielt: Wie Mose wollte er sein Volk in die Freiheit führen, von den Höhen seines Berges Nebo schaute er wie einst der große Führer Israels in das Gelobte Land – in dem Wissen, dass er selbst es jedoch nicht mehr betreten werde können.

"Aus dem Berg der Verzweiflung
einen Stein der Hoffnung schlagen"

Es sind diese biblisch getränkten Visionen einer besseren Welt, die King zur Theologie brachten, auf die Kanzel und in den Alltag der Menschen – nicht nur in den der drangsalierten farbigen Bevölkerung seines eigenen Landes, sondern auch anderswo; beispielsweise in Ostberlin. An jenem Sonntag, dem 13. September 1964, predigte er in der Marienkirche am Alexanderplatz. Manche der ostdeutschen Bürgerrechtler zogen eine Linie von dieser Predigt zur späteren Maueröffnung. King spricht davon, dass sich Christi Verheißung dort erfüllt, wo Menschen trennende Mauern abreißen. In diesem Glauben kann, wie Malessa in seinem Text an mehreren Stellen Kings Redewendung einfügt, aus „dem Berg der Verzweiflung ein Stein der Hoffnung geschlagen werden.“

Musikalisch lebt das Musical von Gospel, Rock’n Roll und Soul, der Musik der 50er und 60er Jahre. Das ist mehr als bloße Zeitkulisse. „Gospel ist hintergründig und heiter“, sagt Andreas Malessa. Es ist für ihn die Musik, die zum Evangelium, dem Gospel, gehört. „Das ist mitreißende Musik, Rock’n Roll, Black Gospel“, sagt Malessa. Sein Libretto haben die Komponisten Hanjo Gäbler und Christoph Terbuyken entsprechend packend vertont. Darin haben sie auch zwei bekannte Songs verarbeitet: „We shall overcome“, jene Hymne der Bürgerrechtsbewegung, und den Gospel „Go down Mose“ (noch einmal Ostberlin: „Let my people go“).

„Es war ein großartiges Erlebnis,
in diesem Musical mitzuwirken“

Gäbler und Terbuyken haben dem Chor eine zentrale Rolle gegeben. Die 1200 Sängerinnen und Sänger kommen in Bewegung, zeichnen Wasserwellen auf entsprechende Textzeilen (Wasser bricht den Stein). Einer von ihnen ist Henning Boecker, Leitender Dezernent für Diakonie, Fundraising, Steuern im Landeskirchenamt der rheinischen Kirche. Nach fünf Stunden allerletzter Probenphasen am Tag der Uraufführung sieht er ein wenig erschöpft aber zufrieden aus. Nach dem Konzert dann die Begeisterung. „Es war ein großartiges Erlebnis, in diesem Musical mitzuwirken“, sagt Boecker, der auch sonst gerne in Projektchören singt.

Die Besucherinnen und Besucher bedanken sich mit kräftigem und langem Beifall. Eine von ihnen ist Heike Koch aus Birnbach. Sie hat beim Quiz der rheinischen Kirche zum Musical (Lösungswort: Pastor) ein Paar von dreimal zwei Eintrittskarten für die Uraufführung gewonnen. „Ein Besuch lohnt sich. Es ist eine tolle Möglichkeit, die immer noch aktuelle Botschaft von Martin Luther King neu ins Bewusstsein zu bringen“, sagt sie.

„Wer nicht glaubt, wer nicht hoffen kann,
ist kein Realist“

Das Musical beginnt mit dem Todesschuss auf Martin Luther King 1968, blickt dann zurück auf Stationen seines Lebens, endet in der Gegenwart – und holt so seine bleibende Bedeutung auf die Bühne: Visionen sind keine Hirngespinste. „Wer nicht glaubt, wer nicht hoffen kann, ist kein Realist“, sagen Kings Weggefährten im Rückblick.

Die Uraufführung am Wochenende war eine Kooperation der Creativen Kirche Witten, der Evangelischen Kirche im Rheinland, des Bistums Essen und des Landesverbands NRW im Bund Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland. Die nächste Möglichkeit, das Musical zu sehen, bietet der Kirchentag in Dortmund. Dort kommt es am 20. Juni auf die Bühne. Sängerinnen und Sänger sind herzlich eingeladen, daran mitzuwirken. Bis April 2020 folgen weitere Aufführungen von Hamburg bis Bayreuth.

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