02.03.2021

„Die Verbindung von jüdischer und christlicher Kultur ist voller Lebendigkeit“

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1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland: Das Festjahr ist eröffnet. In Wuppertal, wo es jüdisches Leben seit 200 Jahren gibt, trägt die Kirchliche Hochschule mit eigenen Veranstaltungen zum Festjahr bei. Ein Gespräch mit Rektorin Prof. Dr. Konstanze Kemnitzer über die Freude am gemeinsamen Aufspüren von Schätzen in Lebens-, Glaubens- und Textwelten.  

Welche Bedeutung hat das Festjahr aus Sicht der Kirchlichen Hochschule?

Konstanze Kemnitzer: Das Festjahr bietet die Chance, die Vielfalt jüdischen Lebens in Deutschland seit Jahrhunderten wahrzunehmen – und zwar als einen wesentlichen Teil unserer Kultur und Identität in Deutschland. Als Kirchliche Hochschule beteiligen wir uns daran, weil wir Evangelische Theologie als kulturgeschichtliche und kulturwissenschaftliche, kontextuelle Forschungs- und Lehrdisziplin betreiben und immer wieder jüdische und christliche Lebens-, Glaubens- und Textwelten reflektieren. Die Verbindung von jüdischer und christlicher Kultur in Deutschland ist voller Lebendigkeit und wertvoller Ausdrucksformen und Erkenntnisschätze. Das Festjahr gibt Raum dafür, einmal diesen Schönheiten Beachtung zu schenken – bei allem, was wir heute über Antisemitismus sowie die Verachtung und Zerstörung der Verbindungen von jüdischer und christlicher Kulturpraxis wissen.

Wer hat das Festjahr geplant?

Kemnitzer: Das Festjahr ist eine bundesweite Initiative. An der Kirchlichen Hochschule gab Kirchenmusikdirektor Jens-Peter Enk einen entscheidenden Impuls, indem er mich für dieses Projekt mit Dr. Ulrike Schrader von der Begegnungsstätte Alte Synagoge und mit Musikdirektor und Kantor Thorsten Pech zusammenbrachte. Anschließend vernetzte sich das Projekt immer weiter – nicht zuletzt durch Dr. Michaela Geiger, Professorin für Altes Testament an der Kirchlichen Hochschule und Mitglied im Ausschuss „Christen und Juden“ der Evangelischen Kirche im Rheinland. Das Programm für das Festjahr 2021 haben neben uns viele Wuppertaler Organisationen mit Vorträgen, Musikveranstaltungen, Kunst und Diskussionen auf den Weg gebracht.

Welche Veranstaltungen trägt die Kirchliche Hochschule zum Festjahr bei?

Kemnitzer: Anfang Februar haben wir einen Vortrag plus anschließende Diskussion zum Thema „Jüdischer Religionsunterricht in Deutschland vor den Herausforderungen der Moderne“ mit der jüdischen Theologin Dr. Sandra Anusiewicz-Baer veranstaltet. Im Sommersemester werden wir mit Prof. Dr. Carl Ehrlich einen jüdischen Gastprofessor aus Toronto begrüßen. Seine erste digitale Vorlesung am 20. April ist öffentlich und findet von 19.30 bis 21 Uhr statt. Darin wird er sich der Praxis des Judentums widmen. Die Hauptthemenkreise werden der jüdische Lebenszyklus und die jüdischen Feiertage und Feste sein. Wie wird gefeiert? Was wird gefeiert? Das wird ein Highlight im Sommersemester.

Ähnliches  gilt für das Projekt „Gemeinsam Halleluja“, das wir am 24. Juni mit Kirchenmusikdirektor Jens-Peter Enk starten. Da beleuchten wir anhand von Musik und Statements die Bedeutung des Chorsingens aus jüdischer und christlicher Perspektive. In Kooperation mit dem Katholischen Bildungswerk Wuppertal/Solingen/Remscheid veranstalten wir im September einen Workshop zur Bibelauslegung in jüdischer und christlicher Perspektive mit einer evangelischen und einer jüdischen Auslegerin. Spannend ist auch die Veranstaltung unseres Lehrbeauftragten Prof. Dr. Matthias Millard ab Herbst zum Thema „Synagogen, Mikwen, Grabsteine“. Darin führt er auf Wege zur Geschichte ausgewählter jüdischer Gemeinden in Deutschland.

Welcher rote Faden zieht sich durch diese Veranstaltungen?

Kemnitzer: Der rote Faden ist die verbindende Freude am gemeinsamen Aufspüren von jüdischen Kulturschätzen und an der Lebendigkeit des Judentums in Deutschland und darüber hinaus. Die Beschäftigung mit der Vielfalt unserer jüdisch und christlich geprägten Kultur weitet den eigenen Wahrnehmungshorizont und unterstützt die Selbstreflexion, fördert Interesse und Respekt und macht Mut zur interkulturellen Begegnung.

Wie greift die Kirchliche Hochschule diese Themen jenseits des Festjahres auf? Wo spiegelt sich das Thema in den Bildungsangeboten?

Kemnitzer: Die Beschäftigung mit dem hebräischen Denken ist grundlegend für das Theologiestudium. Das Hebraicum ist daher für Theologiestudierende verpflichtend. Darüber hinaus findet die Auseinandersetzung mit jüdischer Theologie und Kultur beständig in Veranstaltungen des Evangelischen Theologiestudiums und bei Vorträgen statt. In den biblisch-archäologischen, alt- und neutestamentlichen und interreligiösen Lehrveranstaltungen spielt die Beschäftigung mit der jüdischen Glaubens- und Lebensweise in Vergangenheit und Gegenwart eine ebenso wichtige Rolle wie in den kirchengeschichtlichen oder praktisch-theologischen Lehrveranstaltungen. Außerdem besetzen wir seit Jahren regelmäßig eine jüdische Gastprofessur.

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