11.06.2020

Pandemie sorgt bei Freiwilligendiensten für Unruhe

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Als die Corona-Krise Anfang März Fahrt aufnimmt, trifft das die vielen Freiwilligendienstleistenden und deren Entsendeorganisationen hart. Ohne richtigen Abschied, dafür aber mit vielen Fragen, mussten die jungen Erwachsenen ihre Einsatzorte verlassen. Ein Kraftakt für alle, wie Beispiele aus der rheinischen Kirche zeigen.

Es ist der 16. März, als das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) die Organisationen auffordert, alle Freiwilligendienstleistenden zurückzuholen. „Das war ein Riesenaufwand“, berichtet Thomas Franke, Leiter der Arbeitsstelle Auslandsfreiwilligendienste der rheinischen Kirche.

39 junge Erwachsene seien im Ausland gewesen. „Zum Teil konnten wir selbst keine Flüge mehr buchen und mussten beispielsweise in Chile und Argentinien auf das staatliche Rückkehrprogramm zugreifen.“ Von solchen Herausforderungen weiß auch David Kobernick, Referent für Freiwilligenprogramme bei der Vereinten Evangelischen Mission (VEM), zu berichten. „Für uns Organisationen war am Ende natürlich entscheidend, dass alle sicher zurückgekommen sind“, betont Kobernick. Wie Franke weiß aber auch er um die große Belastung für die jungen Erwachsenen.

Auch in Deutschland kehrt keine Ruhe ein

Schließlich hätten die Freiwilligen erst kurz zuvor bei Zwischenseminaren Pläne für die kommenden Monate geschmiedet. Kobernick und Franke sind dafür extra in die Einsatzländer geflogen. „Man muss sich vorstellen, dass sie so richtig angekommen sind“, erklärt Franke und zieht einen Vergleich: „Das ist wie bei einem Fußballspiel. Die Zweite Halbzeit wurde gerade angepfiffen und nach zehn Minuten müssen alle vom Platz.“

Zurück in Deutschland konnten die Beteiligten keineswegs auf Ruhe hoffen. Zu vieles war unklar. „Wie läuft der Dienst weiter?“, benennt Kobernick eine der brennendsten Fragen. Weil die Verträge fürs Ausland abgeschlossen worden seien, hätten diese ebenso wie Versicherungen angepasst werden müssen. Denn beendet war der Dienst für die jungen Erwachsenen natürlich nicht, wie Franke betont: „Sie machen nach wie vor weiter, aber eben anders und an einem anderen Ort.“ Einige engagierten sich nun ehrenamtlich in der Heimatregion, andere gingen arbeiten.

Neben abruptem Ende beschäftigt Rassismus die Freiwilligen

In Kontakt blieben die Freiwilligen zu Beginn vor allem durch Online-Treffen via Zoom. Dort tauschten sie sich aus – im Plenum oder in Kleingruppen. Über den Freiwilligendienst, aber auch Privates. Etwa, wie das abrupte Ende erlebt wurde und wird. „Einige Freiwillige waren morgens noch in der Dienststelle und wurden nachmittags nach Hause geschickt. Andere waren im Urlaub. Sie mussten also ohne richtigen Abschied von den Klienten oder den Mitarbeitenden abreisen. Da sind auch Tränen geflossen“, weiß Franke.

Damit all das besser verarbeitet werden kann, hat Kobernick mit seinen VEM-Kolleginnen und -Kollegen das für September geplante Abschlussseminar bereits virtuell im Mai durchgeführt. „Uns war wichtig, die positiven Erlebnisse hervorzuholen“, berichtet er.

Gezeigt habe sich dann bei den Gesprächen, dass auch Rassismus und Postkolonialismus die Freiwilligendienstleistenden umtrieben. „Die Einheimischen konnten oft nicht nachvollziehen, dass alle so schnell in Sicherheit gebracht wurden, dass wir solche Privilegien besitzen.“ Zudem sei das Virus mit Weißen verbunden worden. „Taxifahrer wollten sie aus Angst nicht mehr mitnehmen. Das war für alle sehr irritierend.“

Planungen für neuen Jahrgang laufen

Über Kontakte und Gespräche entwickelte sich laut Franke und Kobernick bei den Freiwilligen langsam aber sicher ein Gefühl von Ankommen. Damit das weiter gelingt, stehen ihnen die Mitarbeitenden der Entsendeorganisationen mit Rat und Tat zur Seite. „Das wird gerne angenommen“, berichtet Kobernick. Im Zentrum stünden neben Bürokratischem vor allem Fragen zur Zukunft. Schließlich wären die Dienstleistenden erst im Juli oder August zurückgekehrt „und stehen jetzt vor einer komplett neuen Situation“.

Parallel dazu gilt es für die Verantwortlichen, den kommenden Jahrgang zu planen. „Die zentrale Frage ist, wann die Neuen ausreisen können“, erklärt Franke. Das sei abhängig von der Corona-Entwicklung, den Entscheidungen des Auswärtigen Amtes, aber auch denen der Gastländer sowie der Situation in den Projekten.

„Stand jetzt kalkulieren wir damit, dass wir zwischen Oktober und Dezember Freiwillige entsenden können. Vorausgesetzt, wir können einen sicheren Aufenthalt gewährleisten“, sagt Franke, der froh ist, dass zumindest das Finanzielle geklärt ist. „Die Zuschüsse von den Ministerien werden nicht geschmälert und es ist sehr wahrscheinlich, dass auch Ausgaben, die bislang nicht erstattet wurden, abgerechnet werden können.“ Das betreffe beispielsweise die laufenden Mietverträge an den Einsatzorten.

Bewerbungen für 2020 teils noch möglich                                 

Kobernick ist hinsichtlich der Ausreise skeptischer: „2020 reist wahrscheinlich niemand mehr aus. Verlässliche Aussagen sind aber kaum möglich.“ Er verweist zudem auf Probleme bei den Einsatzstellen. „Einige mit touristischem Schwerpunkt haben zugemacht. Andere sind nicht in der Lage, Freiwillige aufzunehmen.“ 18 von 22 Stellen habe die VEM für 2020/21 derzeit besetzt. Die Bewerbungsphase sei wegen der Ungewissheiten dennoch beendet. Wer hingegen 2021/22 seinen Dienst leisten möchte, könne sich noch bis Mitte Oktober bewerben.

Bei der Auslandsfreiwilligendienststelle der rheinischen Kirche, die anerkannter Träger für den internationalen Jugendfreiwilligendienst (IJFD) und auch Entsende- und Aufnahmeorganisation im Weltwärts-Programm des BMZ ist, endet die Bewerbungsfrist für den neuen Jahrgang normalerweise mit Ablauf des Kalenderjahres. Dieses Jahr besteht die Bewerbungsoption auf der Homepage jedoch weiterhin. „Wir wissen ja nicht, ob alle Freiwilligen ausreisen wollen“, sagt Franke. So unklar die Situation sei, könne er aber zusichern: „Jede und Jeder kann einen Dienst absolvieren.“ Schließlich gebe es alle Arbeitsfelder auch hierzulande in Diakonie und Kirche. „Man muss nur flexibel sein.“ Bei all dem hat Franke einen Rat für alle Interessierten: „Es lohnt sich, mit den Organisation zu sprechen. Das Internet liefert Fakten, aber keine Beratung zu Alternativen.“

 

Zur Sache: Zwei Freiwilligendienstleistende berichten von ihren Erlebnissen

Zu den Freiwilligen, die während der Corona-Krise von heute auf morgen ihre Einsatzstellen verlassen mussten, zählen Sophie Corazolla und Hannah Dunger. Trotz der Schwierigkeiten wissen sie von vielen positiven und wertvollen Erfahrungen zu berichten. Hier können Sie mehr über ihren Einsatz in einem Waisenhaus in Tansania (Hannah Dunger) beziehungsweise einem Einsatz in einem Zentrum für Menschen mit Autismus in Israel (Sophie Corazolla) lesen.

 

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