21.08.2018

Wenn die Möhre zur Ramschware wird

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Nicht nur Dürre gefährdet die Landwirtschaft. „Strukturwandel und ein gesellschaftliches Unwissen über das Entstehen der Nahrung sorgen seit langem für Existenznöte“, sagt Pfarrerin Anke Kreutz. Die Direktorin der Evangelischen Landjugendakademie spricht über Wert und Wertschätzung der Agrararbeit.

„Unser tägliches Brot gibt uns heute“ – erhält diese Bitte angesichts der diesjährigen Dürre mehr Nachdruck?

Nein, ich befürchte, den erhält sie nicht – zumindest nicht für uns Verbraucherinnen und Verbraucher. Denn unser tägliches Brot werden wir trotz schlechter Ernten weiterhin im Überfluss in den Läden vorfinden. Dafür sorgt der Weltmarkt.

Einen Mangel aufgrund der ungünstigen Wetterverhältnisse spüren aber die Landwirtinnen und Landwirte. Wenn Ernten schlechter ausfallen, wenn Fleischpreise sinken, weil mehr Tiere aufgrund mangelnden Futters geschlachtet werden, dann sind ihre Existenzen gefährdet. Bei diesen Menschen in unserer Nachbarschaft wird damit das tägliche Brot knapper.

Wie erleben Sie die derzeitige Situation der Landwirtinnen und Landwirte?

In der Akademie erfahren wir, dass die Lage in den Betrieben im Gebiet der rheinischen Kirche angespannt ist. Wir halten ein Sorgentelefon für die Menschen in der Landwirtschaft bereit, das derzeit jedoch nicht häufiger frequentiert wird. Wahrscheinlich haben die Landwirtinnen und Landwirte momentan überhaupt keine Zeit für Gespräche, weil sie rund um die Uhr gegen die Witterung anarbeiten.

Ich erlebe die Menschen derzeit als sehr pragmatisch: Sie stecken in einer schwierigen Situation, in der sie tatkräftig anpacken, um sie zu handhaben.

Monokulturen mit Mais, Treibhaus-Effekt durch Massentierhaltung: Stimmen werden laut, die die Landwirtschaft für den Klimawandel verantwortlich machen. Ist das gerecht?

Solch ein Schwarz-Weiß-Denken ist unangebracht – denn fast jeder Mensch in unserem Land hinterlässt heutzutage einen zu großen ökologischen Fußabdruck. Wir sollten das Wirken in der Landwirtschaft daher mit einem differenzierten und vorurteilsfreien Blick betrachten.

Vor 60 Jahren ist unsere Akademie mit dem Auftrag gegründet worden, den Strukturwandel in der Landwirtschaft mit kirchlichen Bildungsangeboten zu begleiten. Dieser Auftrag ist bis heute aktuell. Der Wandel ist da, und mit ihm gehen konventionelle Familienbetriebe, Biohöfe oder industrialisierte Betriebe auf sehr unterschiedliche Weise um. Als evangelische Akademie sehen wir unsere Herausforderung darin, über den Wandel zu informieren und über den Umgang mit ihm zu diskutieren.

Wie macht sich dieser Wandel bemerkbar?

Nicht allein die diesjährige Dürre bedroht die Existenzen der Landwirtinnen und Landwirte. Zu schaffen machen ihnen seit langem etwa der Milchpreis, der niedriger ist als die Kosten der Erzeugung, oder billige Konkurrenzprodukte aus Ländern mit geringeren Lohn- und Produktionskosten.

Wir brauchen aber die Bäuerinnen und Bauern und den Diskurs mit ihnen. Sie versorgen uns nicht nur mit Nahrung, sie erfüllen mit der Landschaftspflege außerdem eine weitere, wichtige gesellschaftliche Aufgabe: Damit unsere Wiesen, unser Grünland und unsere Heiden nicht verbuschen und mit Sträuchern und Bäumen zuwachsen, brauchen wir Menschen, die diese Flächen pflegen und mit Tieren beweiden.

Währenddessen stehen an Erntedank die Ananas-Konserven auf dem Altar. Hat unsere Gesellschaft die heimische Landwirtschaft aus dem Blick verloren?

Die heimischen Betriebe geraten aus unseren Augen, weil sie immer mehr außerhalb unserer Gemeinschaften angesiedelt sind. Denn selbst auf dem Land wird ihre Arbeit als geruchsbelästigend, laut und dreckig empfunden. Und so erleben wir die Mühen der Aufzucht von Tieren und Pflanzen nicht mehr mit und verlieren den Zugang zu unseren Quellen.

Kinder bringen die Wurstscheibe nicht mehr mit einem Schwein in Verbindung, und Erwachsene vergessen, wie mühsam etwa das Gießen, Jäten und Harken bei der Anzucht von Möhren ist. Uns kostet dieses Gemüse weniger als einen Euro pro Kilo. Damit rangiert es zum Billigartikel, der auch schnell mal weggeworfen wird.

Was sollte sich ändern?

Der Kauf von regionalen Produkten ist ein wesentlicher Schritt, um die Schieflage zwischen einem hohen Produktionsaufwand und dem Verramschen von Lebensmitteln zu beenden. Natürlich sind Produkte aus heimischer Produktion bis zu 30 Prozent teurer als beim Discounter, dafür entspricht ihr Preis aber dem wahren Wert der Nahrung.

Beim Einkauf im Supermarkt sollten Verbraucherinnen und Verbraucher genau hinschauen und nachfragen, woher Lebensmittel stammen. „Regional“ bedeutet für mich nämlich nicht, dass ein Produkt aus Deutschland kommt. So ist der Transportweg von Schleswig-Holstein in den Westerwald länger als der aus den Niederlanden. Und lange Wege schaden auch der Umwelt.

Wie kann die Kirche den Landwirtinnen und Landwirten derzeit ganz praktisch zur Seite stehen?

Meiner Meinung nach sollte es selbstverständlich sein, dass etwa der Saft fürs Gemeindefest beim heimischen Betrieb und nicht im Discounter gekauft wird. Die Menschen in den Gemeinden und Kirchenkreisen können außerdem auf ihre Landwirtinnen und Landwirte zugehen und sich nach deren momentaner Situation erkundigen.

Kurzfristig sind Spenden und Kollekten für Betroffene oder ein Aussetzen der Pacht bei kirchlichem Land möglich. Langfristig helfen können wir jedoch nur, indem wir ein Umdenken anregen, begleiten und fördern.

Das Sorgentelefon der Landjugendakademie für Menschen in der Landwirtschaft ist unter der Telefonnummer 02681 9516 -12 zu erreichen und kann per Mail unter sorgentelefon@lja.de angeschrieben werden.

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