08.09.2017

Ex-Verfassungsrichter Di Fabio: Demokratie mehr mit Leben füllen

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Die tolerante und freie Gesellschaft muss nach Ansicht des ehemaligen Verfassungsrichters Udo Di Fabio stärker mit Leben gefüllt werden, um die Demokratie vor ihren Feinden zu schützen. Die Faszination des freiheitlichen Gesellschaftssystems seit trotz der wirtschaftlichen Stärke des Westens in eine Krise geraten, warnte Di Fabio am Freitag in Schwerte.

Zugleich seien die "Herausforderer der Freiheit und Toleranz" stärker geworden. Als Beispiele nannte der Jurist China, das noch immer eine Diktatur sei, und die Annexion der Krim durch Russland. Dass Frieden und Freiheit in Europa nicht sicher seien, zeigten auch die Entwicklungen in Polen, Ungarn und Rumänien. Selbst die USA erlebten eine tiefe kulturelle Kluft.

Die freiheitliche Demokratie bezeichnete Di Fabio als konkurrenzlos. Sie setze sich aber nicht von alleine durch, sondern müsse mit Leben gefüllt werden. "Die Faszination des westlichen Weltbildes muss wieder plastischer gemacht werden", sagte Di Fabio auf einer Tagung der evangelischen Landeskirchen in Nordrhein-Westfalen zum Verhältnis von Religion und Staat. "Wer für seine Identität etwas tun will, der muss sie zeigen und vorleben." Wer den Glauben fördern wolle, müsse ihn im Alltag zeigen.

Di Fabio hob in seinem Vortrag vor rund 120 Vertreterinnen und Vertretern von Politik und Kirchen die kulturelle Prägekraft der Reformation vor 500 Jahren hervor. Die "Individualisierung des Glaubens" durch Martin Luther (1483-1546) sei eine bis heute wirksame Epochenzäsur gewesen. Sie habe der Idee individueller Freiheit enorme Kraft gegeben und dadurch den späteren Weg zu kollektiver Selbstbestimmung und Demokratie mit geebnet.

Die heutige Einwanderungsgesellschaft kann nach Di Fabios Worten von der Reformation lernen, dass Menschen nicht als reine Objekte betrachtet werden, weder die Bürger eines Staates noch Flüchtlinge: "Ein Fremder kann aus einer anderen Kultur kommen und wir werden ihn nicht einfach umerziehen können." Für eine tolerante und freie Gesellschaft könne nur geworben werden. Es sei nötig, "den Anderen auch in seiner Sperrigkeit als Subjekt zu achten und uns selbst besser zu erklären", sagte Di Fabio, der von 1999 bis 2011 Richter des Bundesverfassungsgerichts war.

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