Chance und Risiko zugleich

Artikelbild
Die Digitalisierung schreitet voran. Sowohl im Privatleben als auch im beruflichen Alltag. Wie sehr hilft der Fortschritt in der Arbeitswelt? Dieser und anderen Fragen wurde beim ersten „ArbeitsWeltTag“, dem neuen Forum der Evangelischen Kirche im Rheinland, unter dem Titel „Der Faktor Arbeit in der Industrie 4.0“ nachgegangen.
Artikelbild Johannes Pöttering von der Landesvereinigung der Unternehmensverbände NRW

Im Mittelpunkt standen dabei die Auswirkungen der Digitalisierung auf Arbeitsprozesse sowie Organisationsabläufe und die damit verbundenen Veränderungen für Arbeitgeber und -nehmer. „Die Digitalisierung ist kein Selbstzweck“, erklärte Rechtsanwalt Johannes Pöttering, Stellvertretender Hauptgeschäftsführer bei unternehmer.nrw, der Landesvereinigung der Unternehmensverbände NRW. Pöttering ging in seinem Vortrag dem Thema aus Unternehmersicht nach und stellte zunächst die grundsätzliche Frage, wann Digitalisierung in der Wirtschaft Sinn ergibt. „Wirtschaftsprozesse werden damit einfacher, schneller und in der Konsequenz auch billiger“, sagte er.

Aus seiner Sicht und vieler Kollegen sei der Verzicht auf Digitalisierung in vielen wirtschaftlichen Bereichen bereits lange gar nicht mehr möglich. „Natürlich ist nicht alles perfekt, aber wir stehen gut da“, erklärte der Pöttering. „Wichtig ist, nicht immer mit Bedenken an dieses Thema zu gehen.“

Digitalisierung als Riesenchance

Für die Wirtschaftsunternehmen stehe Effizienz im Vordergrund. Der technologische Fortschritt müsse in Deutschland besser genutzt werden, um den Vorsprung gegenüber anderen Nationen, wie beispielsweise in der Autoindustrie, künftig nicht zu verlieren. Als Beispiel nannte Pöttering die USA und Asien, die sich die Digitalisierung zunehmend zu Nutze machen. „Deutschlands Position ist durch die Digitalisierung in Gefahr, wenn wir uns dem verschließen sollten.“

Grundsätzlich sei es für Unternehmen in Deutschland keine Frage des „ob“, sondern des „wie“, erklärte Pöttering. „Die Digitalisierung ist eine Riesenchance für die Wirtschaft. Bei der Vernetzung untereinander müssen wir jedoch offener werden.“ Die damit einhergehenden Veränderungen sah auch der Unternehmens-Experte mit Herausforderungen verbunden: „Die Qualifikationsanforderungen werden zunehmen. In vielen Bereichen wird sich der Arbeitsmarkt verändern.“ 

Artikelbild Achim Vanselow vom DGB NRW

„Zukunft der Arbeit ist nicht technisch determiniert“

Auch Achim Vanselow vom Deutschen Gewerkschaftsbund NRW in Düsseldorf gab in seinem Vortrag zu verstehen, dass die Digitalisierung im Zeitalter von „Industrie 4.0“ eine große Chance ist, Risiken jedoch mit einkalkuliert werden müssen. „Technologiesprünge waren immer mit Veränderungen in der Arbeitswelt verbunden. Unter Umständen verändert sich in den kommenden fünf Jahren aber gar nicht viel, weil die gesuchten Lösungen noch gar nicht gefunden sind.“

Entscheidend sei, dass Arbeitsplätze zukunftsfähig aufgestellt werden. Aus Sicht der Gewerkschaften stehen auch im „neuen Zeitalter“ gerechte Löhne, soziale Sicherheiten und Qualifizierung für die Arbeit von heute und morgen ganz oben auf der Agenda. „Wir haben gute Qualifizierungsstrukturen und ein gutes Bildungssystem“, sagte Vanselow mit Blick auf die Grundvoraussetzungen für die Arbeitswelt der Zukunft. Risiken wie Entgrenzung oder unklare Qualifizierungsanforderungen habe der DGB im Blick. „Wichtig ist zu wissen, in welche Richtung es gehen soll. Die Zukunft der Arbeit ist aber nicht technisch determiniert.“ Bleibt also der Mensch auch in der Arbeitswelt Herr über die Maschinen?

Hohe Anforderungen

In der Diskussion mit dem Plenum im Landeskirchenamt in Düsseldorf kamen an diesem ersten „ArbeitsWeltTag“ immer wieder kritische Fragen zur Gesamtentwicklung des Arbeitsmarktes im digitalisierten Zeitalter auf. „Die Anforderungen an Politik und Kirche sind groß“, gab Andreas Laufer von der Commerzbank zu bedenken. Und Kordula Schlösser-Kost, Wirtschaftliche Referentin für Sozialethik im des Landeskirchenamtes, warf die Frage auf, ob die Veränderungen in der Arbeitswelt nicht flache Hierarchien und daraus resultierende Probleme mit sich bringen würden. Bedenken, die die Referenten Pöttering und Vanselow nicht zerstreuen konnten.

„In der digitalisierten Welt bricht sehr viel um“, gab Kirchenrat Volker König zu bedenken, Leitender Dezernent für Politik und Kommunikation im Landeskirchenamt. Das Abwägen zwischen Risiken und Chancen sei in der digitalen Welt der entscheidende Aspekt. „Erinnern wir uns an Luther“, sagte König. „Gute Arbeit ist kreativ, aber sie bewahrt.“

Artikelbild Prof. Dr. Torsten Meireis, Berlin

Digitale Sklavenarbeit und Prekariatspeitsche

Ambivalenzen und Gefahren benannte schließlich auch der Theologe und Sozialethiker Prof. Dr. Torsten Meireis von der Humboldt-Universität Berlin. Teilzeit- und Frist-Stellen seien „ganz nett“, wenn beispielsweise der Partner eine feste Stelle hat, im Falle der Trennung aber ein Problem. Leiharbeit führe zu weniger gesicherten und weniger gut bezahlten „Randbelegschaften“.

Und ein Trend zu „Responsibilisierung“ beispielsweise führe dazu, dass sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mündig wie Unternehmer fühlen dürften, Arbeit damit aber entgrenzt werde. Auch „technische Durchgriffe“ wie die mögliche Überwachung durch Handys bergen die Gefahr der Entgrenzung, so Meireis. Sinngemäß: Hättest Du nicht gestern Abend noch schnell dieses oder jenes erledigen können?

Der Sozialethiker beklagte „digitale Sweat Shops“. Mit der „Prekariatspeitsche“ werde Menschen Angst gemacht. „Industrie 4.0“ nannte er eine Kampagne, ein „politisches Agenda-Building-Konzept“. Schließlich warb Meireis für gute Arbeit. „Wir haben normative Grundierungen, und das ist gut so“, erklärte Meireis weiter. Sie beinhalteten beispielsweise, dass Effizienzfragen nicht an Schwerbehinderte gestellt werden. 

EKiR ©  EKiR