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23.10.2021

Streitfrage mit drei Seiten (Pinchas Lapide)

Kirche in WDR3 | 23.10.2021 | 00:00 Uhr

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Guten Morgen!

„Jede Streitfrage hat, zutiefst gesehen, drei Seiten: deine Seite – meine Seite – und die richtige Seite.“ (1) Dieser Satz stammt von einem Rabbi. Der bekannte jüdische Religionswissenschaftler Pinchas Lapide hat ihn gerne zitiert. Heute ist sein Todestag; er starb vor 24 Jahren. „Jede Streitfrage hat, zutiefst gesehen drei Seiten…“ Pinchas Lapide war ein großer Brückenbauer. Er half Feindschaft zu überwinden. Gemeinsam mit seiner Frau Ruth und später mit dem Sohn Yuval setzte er sich in besonderer Weise für die Versöhnung von Juden und Christen ein.

Pinchas Lapide wurde 1922 in Wien geboren. Damals - in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg - nahmen judenfeindliche Haltungen sowohl in Parteien als auch in der Kirche zu. In dieser Stimmung wuchs Pinchas Lapide heran. 1938, nach dem sogenannten Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich, wurde Pinchas Lapide mit tausenden anderen Jüdinnen und Juden verhaftet. Da war er gerade sechzehn Jahre alt.

Er konnte aus einem Konzentrationslager fliehen und kämpfte mit jüdischen Soldaten aus Palästina freiwillig in der British Army gegen die deutsche Armee. Nach dem Zweiten Weltkrieg besuchte er immer wieder Deutschland, promovierte in Köln. Sein Herz schlug für den jüdisch-christlichen Dialog. Pinchas Lapide war überzeugt: „Die Vergangenheit verwirft man nicht, sondern bewältigt sie und lernt aus ihr.“ (2) 1974 entschieden seine Frau Ruth und er, sich in Deutschland niederzulassen, eine sehr bewusste Entscheidung wie Ruth Lapide später berichtete: „Wenn nicht wir, wer dann,“ sagte sie „um die Menschen dort aufzuklären, wo die Wurzel des Übels war und eine Versöhnung zwischen Christen und Juden dringender denn je gebraucht wird, damit sich solch ein Übel niemals wiederhole.“ (3)

Pinchas Lapide war es mit dem Dialog sehr ernst. Er brachte dem christlichen Glauben aus jüdischer Sicht großes Wohlwollen entgegen. Er betonte Gemeinsames und Verbindendes. Zugleich verschwieg er das Trennende nicht. Seine Frau und er waren große Kenner nicht nur der Hebräischen Bibel, die Christen Altes Testament nennen, sondern auch des Neuen Testamentes. Oft half er Christinnen und Christen die Bibel besser zu verstehen. So hat Pinchas Lapide zum Beispiel das Gebot „Liebet Eure Feinde“ aus der Bergpredigt Jesu ausgelegt. Er schaute mit dem Blick der jüdischen Tradition auf das, was der Jude Jesus mit diesem Gebot wollte. Dabei machte er deutlich: Hier geht es nicht um ein Gefühl. Jesus fordert nicht, dass wir unseren Feinden Sympathie entgegenbringen. Sondern es geht darum: Was tust Du, damit die Feindschaft überwunden werden kann. Wo wir denen, die uns Böses wollen, Gutes tun, können Schritte zum Frieden gelingen. Pinchas Lapide hat das die „Entfeindung“ genannt.

Es bleibt noch viel zu tun; der wiedererstarkende Antisemitismus gibt Anlass zu großer Sorge. Und doch können wir zugleich dankbar sein für das, was im christlich-jüdischen Dialog in den letzten Jahrzehnten gewachsen ist. Menschen wie Pinchas Lapide haben dazu mit den Weg bereitet, indem sie nicht müde wurden, Brücken zu bauen. Dass wir nach unserer Geschichte Jüdinnen und Juden unter uns als unseren Geschwistern begegnen können, ist eigentlich ein Wunder.

Es grüßt Sie Ihr Dietmar Arends, Landessuperintendent aus Detmold.

Quellen:

(1) Pinchas Lapide, Ist die Bibel richtig übersetzt? Band 2, Gütersloh 1994, S. 15.

(2) https://gutezitate.com/autor/pinchas-lapide (letzter Abruf 26.08.2021)

(3) https://www.jewiki.net/wiki/Pinchas_Lapide (letzter Abruf 26.08.2021)

Redaktion: Landespfarrerin Petra Schulze

https://www.kirche-im-wdr.de/uploads/tx_krrprogram/56527_WDR3520211023Arends.mp3