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23.10.2021

Meine Seele steigt auf Erden (eg 615)

Choralandacht | 23.10.2021 | 00:00 Uhr

Alttext  

Musik: Choralvorspiel

Titel: Meine Seele steigt auf Erden; Text; Matthias Jorissen; Musik: Loys Bourgeois; Interpret: Kantorei der Christuskirche Detmold; Leitung: Burkhard Geweke; Verlag: Lippische Bibelgesellschaft e.V.; Label: unbekannt; LC: 12029.

Autor (overvoice): In immer neuen Anläufen steigt die Melodie in die Höhe, klettert, streckt sich aus nach oben, als würde sie dort etwas suchen. Sie zeichnet vor, wohin uns der heutige Choral mitnimmt: „Ich erhebe mein Gemüte/ betend, o mein Gott, zu dir“ – so beginnt er.

Musik: Choral, 1. Strophe (Fortsetzung)

Sprecherin (overvoice): Ich erhebe mein Gemüte/ betend, o mein Gott, zu dir; / ich vertraue deiner Güte, / nur von dir kommt Hilfe mir. / Du verlässt die Deinen nicht, / die zu dir die Zuflucht nehmen. / Wer dir Treu und Glauben bricht, den wirst du gewiss beschämen.

Autor: Ein Gebet, das in schwerer Zeit nach Gott sucht, sich nach ihm ausstreckt und von ihm Hilfe erwartet. „Meine Seele steigt auf Erden sehnend, Herr, mein Gott, zu dir“ – so heißt es in der neusten Fassung, wie sie heute im Evangelischen Gesangbuch abgedruckt ist. Die Worte dieses Liedes lehnen sich dicht an Worte der Bibel an. Sie sind eine Übertragung des 25. Psalms und stammen aus dem sogenannten Genfer Psalter. Während Martin Luther den Choralgesang liebt und selber die Texte vieler Choräle dichtet, geht Johannes Calvin bei der Reformation in Genf einen anderen Weg. Die Gemeinde soll biblische Texte singen, das ist seine Überzeugung. Und so lässt er das Lied- und Gebetbuch unserer jüdischen Geschwister, die Psalmen, für seine Zeit übertragen. Dementsprechend sind die Lieder des Genfer Psalters zunächst in französischer Sprache verfasst. Calvin holt den Musiker Loys Bourgois nach Genf. Er schafft etliche Melodien für den Genfer Psalter. Seine Melodie zu Psalm 25 nimmt uns mit hinein in die Bewegung dieser Worte: „Ich erhebe mein Gemüte/ betend, o mein Gott, zu dir“

Wir können uns die Bedeutung dieser Psalmlieder für die später verfolgten und vertriebenen Anhänger der Reformation in Frankreich kaum groß genug vorstellen. Für die Hugenotten und ihre Nachfahren sind sie eine Quelle des Trostes. Sie geben ihnen Kraft und Mut, gemeinsam schwere Zeiten durchzustehen und dabei an ihrem Glauben festzuhalten. In den Gesängen erleben sich die Menschen zudem auf einzigartige Weise miteinander verbunden.

Musik: Choral, 2. Strophe

Sprecherin (overvoice): Zeige, Herr, mir deine Wege; mach mir deinen Weg bekannt, daß ich treulich folgen möge jedem Winke deiner Hand; leit in deiner Wahrheit mich, führe mich auf rechte Pfade. Gott, mein Heil, ich suche dich; täglich harr ich deiner Gnade.

Autor: Die deutsche Fassung des Textes geht auf Matthias Jorissen zurück. Er muss so um die 60 Jahre alt gewesen sein, als er diese Worte Ende des 18. Jahrhunderts niederschreibt. Ich stelle mir vor, dass er so manches in diesen Zeilen wiederfinden kann, das ihm selbst widerfahren ist. Rückblickend ist es nicht immer einfach gewesen für ihn, einen guten Weg zu finden in seinem Leben. Matthias Jorissen wollte zunächst Medizin studieren. Auf Anraten eines Verwandten entscheidet er sich aber für das Theologiestudium. Doch nach einer äußerst umstrittenen Predigt verwehrt man ihm den Zugang in ein Pfarramt in Preußen. Er muss sich völlig neu orientieren. Er findet für sich und seinen Glauben eine neue Heimat in den Niederlanden, wo er fortan lebt und arbeitet. Vielleicht hat er in diesen Zeiten Gott manches Mal gebeten: „Zeige, Herr, mir deine Wege“. Sehnsucht nach Gott und tiefes Vertrauen zu Gott sprechen aus den Zeilen seines Liedes. Es wird von der Hoffnung getragen, dass Gott Wege im Leben eröffnet, wo wir sie selbst nicht sehen können.

Musik: Choral, 4. Strophe

Sprecherin (overvoice): Gott ist gut und recht, er zeiget Irrenden die rechte Bahn, macht ihr Herz zu ihm geneiget, nimmt sie mit Erbarmen an. Den Elenden strahlt sein Licht, daß sie nicht den Weg verfehlen; Schwachen fehlt's an Hilfe nicht, wenn sie ihn zum Troste wählen.

Autor: Vielleicht hat Matthias Jorissen dies so für sich erlebt. Sein Leben verlief ganz anders, als er es sich gedacht hatte. Aber er fand dann doch einen Weg, der sein Leben ausgefüllt hat. Er wird Pfarrer in der deutschsprachigen niederländisch-reformierten Gemeinde in Den Haag. Und neben seiner Arbeit als Pfarrer widmet Jorissen sein Leben der Neubereimung der Psalmen. Für die Melodien des Genfer Psalters, dieses alten reformierten Gesangbuchs, schafft er eine neue, sprachlich damals modernere Psalmbereimung. Bis heute finden sich in unserem Gesangbuch eine Vielzahl seiner Psalmtexte. Und in etlichen reformierten Gemeinden gibt es immer noch den ganzen Genfer Psalter mit allen 150 Psalmen, die meisten in der Bearbeitung von Matthias Jorissen.

Musik: Choral, 3. Strophe

Sprecherin (overvoice): Herr, erbarm dich eines Armen, der zu dir um Gnade schreit. Dachtest du nicht mit Erbarmen schon an mich von Ewigkeit? Ach gedenk nicht meiner Schuld, auch nicht meiner Jugend Sünden; unter deiner Vaterhuld laß mich bei dir Gnade finden.

Autor: Die verfolgten und bedrängten Hugenotten haben mit Worten und Melodien wie diesen Halt und Kraft gefunden; sie haben sie ihren Zusammenhalt spüren lassen. Matthias Jorissen hat viel später in diesen Worten vielleicht auch ein Stück seines eigenen Weges finden und in diesem Weg wohl auch die Spuren Gottes entdecken können. Auch heute werden Menschen von den alten Worten und Melodien berührt. Ich habe diesen Psalm als Gemeindepfarrer oft für den Gottesdienst ausgesucht, wenn in der Woche Schwieriges oder Schweres hinter uns lag. Wenn wir von einem Menschen in der Gemeinde Abschied nehmen mussten, wenn Ereignisse in der Welt schwer auf uns gelastet haben. Dann haben auch wir uns mit diesem Lied nach Gott ausgestreckt und seine Nähe gesucht: Meine Seele steigt auf Erden sehnend, Herr, mein Gott, zu dir.

Musik: Choralvorspiel

Redaktion: Landespfarrer Dr. Titus Reinmuth