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28.02.2021

Beim Sterben helfen?

Das geistliche Wort | 28.02.2021 | 00:00 Uhr

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O-Ton 01 Clahsen: Also die Maria hatte die Krankheit ALS, diese Lähmung, die kam von unten nach oben stieg die Krankheit.

Autor: Karin Clahsen ist Hospizhelferin. Sie begleitet Menschen, die aufs Sterben zugehen. Als Ehrenamtliche hat sie dafür eine eigene Ausbildung gemacht: Sterbende begleiten lernen. Um sich vorzubereiten auf das Zuhören, Mitgehen, Aushalten, Bleiben. Sie erzählt mir von dieser einen Begleitung: Maria.

O-Ton 02 Clahsen: Es war wirklich erschütternd, muss ich sagen, im Laufe der Zeit, wo eben ihre Möglichkeiten immer geringer wurden, sich zu bewegen. Es war nachher so, sie konnte ihre Tränen nicht mehr abwischen, wenn wir uns unterhielten und die Tränen kullerten. Sie hat mir also auch sehr viel anvertraut und sehr viel erzählt und sie konnte nicht mehr selbstständig trinken. Ich musste dann ihren Strohhalm festhalten und es war also wirklich, es war wirklich schlimm.

Autor: Karin Clahsen hat erlebt, was es bedeutet, einen schwer kranken Menschen zu begleiten. Über sieben Monate besucht sie Maria, die an amyotropherLateralsklerose erkrankt ist. ALS führt zu Muskelschwäche und Muskelschwund. Eine Krankheit, an der sie sterben wird.

O-Ton 03 Clahsen: Ja, in einem Gespräch hab ich dann davon erfahren, dass die Familie, also ihr Mann, ihre Mutter, sie selber also schon Kontakt in die Schweiz aufgenommen haben. Und dann fiel eben „Dignitas“ in der Schweiz und dass das da für sie schon alles geregelt war. Sie hatte alles bezahlt, sie brauchte eigentlich nur hinfahren.

Autor: Dignitas ist eine Sterbehilfeorganisation in der Schweiz. Maria hatte vorgesorgt für den Fall, dass sie die letzte Wegstrecke ihres Lebens nicht mehr gehen will. Eine Art Notausgang.

Fast auf den Tag genau vor einem Jahr hat das Bundesverfassungsgericht in Deutschland das Verbot von Sterbehilfevereinen aufgehoben und geurteilt, dass auch hierzulande der assistierte Suizid, also die Beihilfe zur Selbsttötung, ermöglicht werden soll. Das Gericht hat klargestellt: Freiheit und Selbstbestimmung gelten auch am Lebensende. In diesen Wochen bricht die Diskussion wieder auf, die ersten Gesetzentwürfe liegen vor.

Also: Darf man beim Sterben helfen? Und wie geschieht das eigentlich bis jetzt? Was ist möglich, was ist erlaubt? Was brauchen Menschen, die schwerstkrank sind und bewusst aufs Sterben zugehen? Darüber spreche ich mit Hans-Georg Troschke, er war bis vor Kurzem ärztlicher Leiter der Palliativstation im städtischen Krankenhaus in Heinsberg. Er weiß gut, was Menschen am Lebensende hilft. Aber bei der Sterbehilfe gibt es für ihn eine Grenze. Und ich spreche mit Pfarrer Ulrich Lilie. Er ist Präsident der Diakonie in Deutschland und möchte die Fragen rund um die Sterbehilfe neu diskutieren, ganz offen und ohne Tabus.

Musik 1: Miranda Komponist: Bob James & Various Artists; Interpret: Till Brönner, Bob James, Yuri Goloubev & Harvey Mason; Album: On Vacation; Albumkünstler: Till Brönner & Bob James; Label: 2020 Sony Music; LC: 02604.

Autor: Darf man beim Sterben helfen? Und was brauchen Menschen, die bewusst aufs Sterben zugehen? Pfarrer Ulrich Lilie, der Präsident der Diakonie in Deutschland, hat das erste stationäre Hospiz in Düsselorf mit gegründet. Über viele Jahre hat er dort Menschen als Seelsorger begleitet.

O-Ton 04 Lilie: Ich glaube, Menschen brauchen ein Umfeld, auf das sie sich im Wortsinne verlassen können. Weil sie einfach wissen: die, die mich jetzt begleiten, haben meine Bedürfnisse, meine Wünsche, meine Selbstbestimmung sehr gut im Blick. Dann war immer ganz wichtig, mit den Menschen sehr offen zu reden, aber auch deutlich zu machen, dass wir sozusagen mit ihnen gerne das Geländer schmieden, das ihnen hilft, diesen Weg für sich zu gehen. Das waren auch Verabredungen, dass wir gesagt haben: Wir können dir weitestgehend versprechen, dass du keine Schmerzen leiden musst. Und es gibt keine Norm. Also du gestaltest das so, wie es für dich richtig ist. Und wir gehen einfach mit.

Autor: Hans-Georg Troschke, Palliativarzt in Heinsberg, hat es ganz ähnlich erlebt. Acht Jahre lang war er Leiter einer Palliativstation. Für ihn ist noch etwas anderes wichtig:

O-Ton 06 Troschke: Zum einen vonseiten des Patienten, des Kranken, die Akzeptanz, dass etwas eingetreten ist, was nicht mehr aufzuhalten ist und was unumkehrbar ist, Und vonseiten des Personals, des Teams, das einen Patienten auf einer Palliativstation behandelt, zu akzeptieren, dass man sterben lassen können muss.

Autor: Doch auch die beste palliative Versorgung kommt manchmal an Grenzen. Selten, zum Glück. Aber es kommt vor.

O-Ton 07 Troschke: Das kommt ab und zu. Das ist die Frage: Kannst du mir nicht irgendetwas spritzen? Dann ist das vorbei.

Autor: So hat es Hans-Georg Troschke erlebt. Aber:

O-Ton 08 Troschke: Wenn das jemand so äußert, habe ich das immer für eine Art Hilferuf gehalten. Als Ausdruck der Angst und ja, letztlich der Unkenntnis der Möglichkeiten. Natürlich, es gibt Erkrankungen und Verläufe, die sind ganz schrecklich. Aber ich kann mich an keinen Patienten erinnern, wo wir nach einer vernünftigen palliativmedizinischen Behandlung und Aufklärung und Darstellung der Optionen, also insbesondere der palliativen Sedierung, einen Patienten gehabt haben, der das nochmal ernsthaft nachgefragt hat.

Autor: Die palliative Sedierung als letzter Ausweg. Das ist so eine Möglichkeit. Dann gibt es ein Betäubungsmittel, dass den Patienten schlafen lässt. Keine Unruhe mehr, keine Angst, kein Leiden. Nur noch ein tiefer Schlaf. Das war schon immer möglich, schon vor dem Urteil zur Sterbehilfe. Auch Ulrich Lilie kann sich an solche Fälle erinnern.

O-Ton 09 Lilie: Ich hab zwei, drei Mal erlebt, wie Menschen sozusagen an ihrem eigenen Blut ersticken. Das ist wirklich furchtbar. Das wollen Sie nicht erleben. Und das wollen Sie auch keinem zumuten. Dann haben wir mal gesagt, wenn das kommt, sozusagen, da liegt die Kanüle daneben, dann werden wir dich sehr schnell davon abschirmen. Die Option zu haben, war sozusagen auch ein Teil des Geländers. Und ich glaube, dass ganz viele Leute sagen: Wenn ich das als letzte Option habe, wenn es für mich sozusagen absolut würdelos wird oder überhaupt nicht mehr gestaltbar ist, dann habe ich diese Last Exit Chance, sich auf sehr viel mehr einlassen können, als sie vorher gedacht haben.

Musik 1: Miranda

Autor: Eine letzte Option haben, eine Art Notausgang – gilt das auch für die Sterbehilfe, zumindest für den assistierten Suizid? Wie gesagt: Vor genau einem Jahr hat das Bundesverfassungsgericht diesen Weg wieder eröffnet. Wie damit umgehen, zumal in kirchlichen Häusern? Werden Menschen hier begleitet bis zuletzt – und in jedem Fall? Ulrich Lilie, der Diakoniepräsident, hat vor Kurzem diese Debatte eröffnet. In einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Zusammen mit anderen schreibt er:

Sprecher: Angesichts der Tatsache, dass das Bundesverfassungsgericht die Selbstbestimmung am Lebensende nachdrücklich betont hat, erscheint es (...) möglich, auch die abgesicherten Möglichkeiten eines assistierten Suizids in den eigenen Häusern anzubieten oder zumindest zuzulassen und zu begleiten. (FAZ vom 11.01.2021)

Autor: Den assisistierten Suizid anbieten oder zumindest zulassen und begleiten. Für viele ist das ein Tabu. Ulrich Lilie betont:

O-Ton 10 Lilie: Nach evangelischem Verständnis ist Leben eine Gabe, ein Geschenk, das unverfügbar ist. Das ist ja sozusagen das Credo des Christentums: eine Religion des Lebens, nicht des Todes. Davon bin ich sehr überzeugt. Aber es gibt dann diese schwierigen einzelnen Situationen. Und dann ist die Frage: Wie wollen wir die beantworten?

Autor: Und da hat sich mit den Karlruher Urteil etwas verändert. Das Gericht hat formuliert:

Sprecherin: Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben.Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen. Die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, umfasst auch die Freiheit, hierfür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit sie angeboten wird, in Anspruch zu nehmen. (1)

O-Ton 11 Lilie: Wir haben ein klares Urteil. Und damit haben wir jetzt die Realität, dass Menschen auch in unseren Einrichtungen vielleicht mit so einem Wunsch auf uns zukommen.

Autor: Wie gesagt: Der Diakoniepräsident hat selbst lange als Seelsorger im Hospiz gearbeitet. Dabei hat er gelernt, ...

O-Ton 12 Lilie: ...dass Sterben eine höchst individuelle Angelegenheit ist. Und was für den einen Menschen sehr gut gestaltbar ist, ist für jemanden anders mit einer anderen Lebensgeschichte, mit einer anderen psychischen Konstitution, schon nicht im Ansatz gestaltbar oder denkbar.

Autor: Die Diskussion um den ärztlich assistierten Suizid ist in vollem Gange, und Ulrich Lilie will sie offen führen. Für Hans-Georg Troschke, den Palliativarzt, ist hier eine ganz persönliche Grenze erreicht.

O-Ton 13 Troschke: Jemandem beim Sterben in seiner Krankheit begleiten und sein Sterben zuzulassen, ist eine andere Qualität, als jemandem beim Sterben zu helfen, indem ich ihm ein Mittel gebe, von dem er sein Leben innerhalb eines ganz kurzen Zeitraums beenden kann. Das ist nicht meine Intention gewesen, ärztlich tätig zu sein.

Autor: Zusammen mit anderen plädiert Ulrich Lilie dafür, dass Menschen auch in Einrichtungen der Diakonie immer einen sicheren Ort finden, an dem sie gut begleitet werden – bis zuletzt und in jedem Fall. In der FAZ schreibt er:

Sprecher: Sichere Orte wären in dieser Perspektive kirchliche Einrichtungen nicht deswegen, weil sie bestmögliche Palliativversorgung gewährleisten und Sterben zulassen, sich aber dem Suizid verweigern, sondern weil sie einem Sterbewilligen unter kontrollierten und verantworteten Rahmenbedingungen in einem aus dem christlichen Glauben entspringenden Respekt vor der Selbstbestimmung Beratung, Unterstützung und Begleitung anbieten.(FAZ vom 11.01.2021)

O-Ton 15 Lilie: Wir sind immer Anwälte des Lebens. Dafür stehen wir im genetischen Code der ganzen Diakonie und der Kirche. Aber wir haben auch Respekt davor, dass dann ein Mensch die Kraft, der Mut sozusagen komplett verlässt und sagt: Ich kann mir die letzten drei Monate, die sowieso zum Tod führen und die nur noch schwierig werden und wo ich eigentlich keinen Menschen habe und wirklich am Ende meiner Kraft bin, schlicht nicht mehr vorstellen.

Autor: Der Diakoniepräsident erinnert hier an Karl Barth, einen der großen evangelischen Theologen des 20. Jahrhunderts.

O-Ton 16 Lilie: Karl Barth hat gesagt, wir sollten vorsichtig sein, jede Selbsttötung als Selbstmord anzusehen. Er hat gesagt, es kann sogar so sein, dass ein Mensch im Gespräch, im Gebet mit seinem Schöpfer einvernehmlich sein Leben zurückgibt in so einer Situation.

Musik 2: Nightfall Komposition: Till Brönner, Till Brönner, Dieter Ilg & Dieter Ilg; Interpret: Till Brönner & Dieter Ilg; Album: Nightfall; Label: 2018 Sony Music; LC: 02604.

Autor: Es ist schon eine Weile her, da hatte sich Maria, die Patientin mit ALS, für ihren letzten Weg einen ganz bestimmten Ort gesichert. Bei einer Sterbehilfeorganisation in der Schweiz war alles vorbereitet. Karin Clahsen, die Hospizhelferin, erinnert sich noch genau.

O-Ton 17 Clahsen: Ich meine, wenn sie das so gemacht hätte, man hätte es ja akzeptieren müssen. Den ich begleite, der zählt. Und auch seine Aussagen, sein Leben. Das zählt. Ich bin ja nur die Begleitung. Das was ich möchte, interessiert da in dem Moment niemanden. Wichtig ist, was derjenige möchte, der da begleitet wird.

Autor: Bei Maria kam es am Ende doch anders:

O-Ton 18 Clahsen: ... Ich hatte das Gefühl, dass sie sich nicht entscheiden konnte. Also sie war hin und hergerissen. Also da kriege ich jetzt auch wieder die Gänsehaut, wenn ich drüber nachdenke. Sie war nicht in der Lage zu sagen: Ja, ich fahr dahin.

Autor: Und dann kam dieser eine Tag im August:

O-Ton 19 Clahsen: Ich weiß nicht, welcher Tag es genau war. Da war eine Wallfahrt. Und dann hab ich zu Maria gesagt: Also morgen gehe ich auf Wallfahrt mit dem Fahrrad und mache dann an dem Wallfahrtsort ein Kerze für dich an und werde für dich beten. Und sie hat gesagt: Ja, nimm mich doch huckepack mit auf dein Fahrrad. Ich sage, das mache ich. Ich nehme dich mit und ich bete für dich. Und an dem Tag, wo ich mit dem Rad auf Wallfahrt war, ist Maria gestorben. Ja. Genau das. Es hat so sollen sein. Ja, sie war ja dann auch erlöst.

Autor: So wünsche ich mir das. Dass Menschen gut begleitet sterben können. Dass wir in Deutschland die beste palliative Versorgung anbieten, die nur möglich ist: Schmerztherapie und Pflege, Seelsorge und Beratung, Klangtherapie und gutes Essen – und noch viel mehr. Maria ist ihren Weg gegangen, andere möchten vielleicht einen anderen Weg gehen. Auch das wünsche ich mir: Dass Menschen selbst bestimmen können, wie sie sterben möchten. Niemand soll sich am Ende allein gelassen fühlen. Auch in kirchlichen Häusern sollen Menschen erfahren: Hier werde ich gut begleitet. Bis zuletzt und in jedem Fall.

Einen guten Sonntag wünscht Ihnen Titus Reinmuth, Rundfunkpfarrer aus Wassenberg.

Musik 3: O Welt, ich muss dich lassen Komponist: Heinrich Isaak & Richard von Bracken; Interpret: Ewood Brothers; Album: Jazz Gotteslob; Label: 2013 Casino Records; LC: unbekannt

(1) Urteil vom 26.02.2021; vgl. https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2020/02/rs20200226_2bvr234715.html (aufgerufen am 22.02.2021)

Hinweis: Aus rechtlichen Gründen enthält das Audio der Internetfassung nicht die im Manuskript angegebene Musik.

https://www.kirche-im-wdr.de/uploads/tx_krrprogram/54574_GW210228ReinmuthSterbehilfeInternetfassung.mp3